Zurab Karumidze: Dagny oder ein Fest der Liebe – Roman

 

Ein teuflisch-göttliches Lesevergnügen

Zurab Karumidze setzt in Dagny oder ein Fest der Liebe alles auf eine Karte und gewinnt. Der georgische Schriftsteller, der in seiner Heimat mit Romanen, Novellen und einem Buch über den Jazz bekannt geworden ist, taucht in seinem neuen Roman tief in die vorletzte Jahrhundertwendezeit ein und erschafft ein schillerndes Panoptikum des Fin de Siècle. Im Mittelpunkt von Karumidzes Werk steht die norwegische Dramatikerin und Pianistin Dagny Juel, eine tragische Figur jener Zeit, die Modell stand für Edvard Munch und auch als Muse für August Strindberg in Erscheinung tritt. Verheiratet war sie mit dem polnischen Schriftsteller Stanisław Przybyszewski, mit dem sie zwei Kinder hatte.

Sounds & Books_Zurab Karumidze_Dagny oder ein Fest der Liebe_Cover_Weidle VerlagSie galt als Femme fatale, das Paar trennte sich, mit ihrem Liebhaber Władysław Emeryk besuchte sie 1901 Tiflis, wo dieser aus Eifersucht Dagny Juel und sich selbst umbrachte. Soweit die historischen Fakten. Zurab Karumidze macht daraus ein schwindelerregendes literarisches Ereignis und fügt seinem Plot eine Vielzahl an Personen und Themen hinzu. Es treffen Dichter, Bohemian, Intellektuelle, Revolutionäre und spätere Diktatoren, Sufi-Derwische und Schamanen aufeinander, darunter der Mystiker Georges Gurdjieff, der junge Josef Stalin, der Volksdichter Wascha-Pschawela, ein tibetanischer Schamane (der Führer der Sieben) sowie ein sprechender Rabe vom Saturn. Sie alle finden sich 1901 im georgischen Tiflis, einem damaligen Schmelztiegel zwischen Orient und Okzident, zum Fest der himmlischen Liebe zusammen, das ein dionysisches Vergnügen, eine kosmische Agape hin zur Kopulation mit Gott werden soll, aber nicht ganz nach Wunsch der Beteiligten verläuft.

Karumidze verhandelt in Dagny oder die ein Fest der Liebe ein überbordendes Sammelsurium an Themen, von Philosophie, Religion, Naturwissenschaften und Musik, über Spiritualität, Schamanismus und orientalische Mystik, bis hin zu Tanz, Passion und Ekstase. Das georgische Nationalepos Der Recke im Tigerfell von Schota Rustaweli spielt genauso eine bedeutende Rolle wie Karumidzes zahlreiche Verweise aus Kunst, Musik und Literatur, die bis in die jetzige Zeit reichen. Der 1957 geborene Georgier bedient sich der Sprache philosophischer Traktate, weicht aber auch nicht vor einfacher Alltagssprache zurück, die manchmal pornographische und blasphemische Züge aufweist. Dagny oder ein Fest der Liebe ist ein ausschweifendes, irres, radikales, postmodernes, faszinierendes Stück Literatur, das dem Leser alles abverlangt. Ein teuflisch-göttliches Lesevergnügen.

Zurab Karumidze: „Dagny oder ein Fest der Liebe“, Weidle, aus dem Englischen von Stefan Weidle, fadengeheftete Broschur, 978-3-938803-85-1, 23 €.

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