Thomas Melle: Das leichte Leben

Thomas Melle credit Regina Schmeken

Als ein literarisches Highlight des Jahres 2022 entpuppt sich der exzellente, tragikomische neue Roman „Das leichte Leben“ von Thomas Melle

Erstaunlich eigentlich (und sehr schade), dass Thomas Melles neuer Roman „Das leichte Leben“ von der diesjährigen Jury nicht für den Deutschen Buchpreises  nominiert worden ist. Erstaunlich insofern, als dass Thomas Melle bereits mit seinem 2011 veröffentlichten Debütroman „Sickster“ den Sprung auf die Longlist schaffte und mit sich mit seinen Nachfolgern „3000 Euro“ (2014) sowie dem von Sounds & Books rezensierten „Die Welt im Rücken“ (2016) sogar auf der Shortlist wiederfand. Radikal in seiner sprachlichen wie inhaltlichen Intensität war Thomas Melle schon immer, in „Das leichte Leben“ lotet er auf drastische Weise den Zustand der Gesellschaft anhand einer im Zerfall befindlichen Ehe aus.

Ein ehemaliges Szenepaar

Thomas Melle Das leichte Leben Cover Kiepenheuer & Witsch Verlag

Es könnte alles so einfach sein für Jan und Kathrin. In den Nullerjahren waren sie ein Szenepaar, das sich unter Beibehaltung des leichten Lebens ins bürgerliche stürzte, mit Heirat, Haus und zwei nunmehr in der Pubertät angekommenen Kindern. Kathrin war einst mit ihrem Debütroman eine gefeierte Schriftstellerin und verdient ihr Geld nun als Inklusionslehrerin an einem sozialen Gymnasium. Jan hingegen hat es in seiner journalistischen Karriere bis zur Fernsehmoderator-Berühmtheit gebracht. Aber der Zahn der Zeit nagt an ihrer Beziehung. „Kathrin und Jan hatten begonnen, sich gegenseitig zu neutralisieren. Gelähmt saßen sie manchmal da, wen sie denn beide zu Hause waren – selten genug – und waren jeweils nicht mehr sie selbst, und auch als Paar waren sie schon lange nicht mehr das, was sie früher einmal waren oder seine wollten oder hätten sein können oder wollen.“

Eine Sexparty und die Liebe zu einem Teenager

Und weil zu dieser Neutralisation auch das eheliche Sexleben gehört, hat sich Kathrin „Gier und Geilheit verordnet“ und findet sich, von ihrer besten Freundin Catharina animiert, bei einer Gangbang-Sexparty wieder. „Sie hatte etwas gegen das Verschwinden tun müssen, gegen das körperliche Nichtmehrvorkommen, hatte sich zusammenschaben, neu entwerfen und dann, und sei es nur für eine einen Abend, umso heftiger verschwenden wollen.“ Zufriedenheit und Glück, ja noch nicht einmal die selbstverordnete Gier und Geilheit erlebt sie indes nicht. Was bleibt, ist die Angst vor einer HIV-Ansteckung nach ungeschütztem Verkehr mit Fremden.

Und weil ihr ganzes Leben aus den Fugen gerät, veguckt sich Kathrin in ihren schönen, 15-jährigen Schüler Keanu, ein Freund ihrer Tochter Lale und Teil des sozialen Inklusionsgedanken ihres Gymnasiums. Jan wiederum geht mit seiner deutlich jüngeren Kollegin Johanna aus und erhält erpresserische Nacktfotos, die ihn als Schüler aus seiner Zeit an einem katholischen Internat zeigen und zur Aufdeckung eines Missbrauchsskandals führen.

Thomas Melle erweist sich als vortrefflicher Humorist

Ohne einen moralischen Zeigefinger zu erheben, erzählt Thomas Melle in atemberaubender Manier vom Absturz seiner beiden Hauptfiguren. Sukzessive taumeln Jan und Kathrin ihrem persönlichen Untergang entgegen, stolpern über die Fallen des modernen Lebens sowie über ihre ausgeprägten Egos. Anhand seiner superb in Szene gesetzten Protagonisten entwirft der 1975 geborene Autor ein präzises Sittenbild einer egozentrischen und degenerierten neoliberalen Gesellschaft. Und versetzt ihr genüsslich den literarischen Todesstoß. Dabei erweist sich Melle als vortrefflicher Humorist, gesegnet mit einem Reichtum an pointierten Dialogen. „Das leichte Leben“ gerät zu einem exzellenten tragikomischen Roman mit einem Sinn für Exzentrik und extreme Situationen. Ein literarisches Highlight des Jahres 2022.

Thomas Melle: „Das leichte Leben“, Kiepenheuer & Witsch, Hardcover, 352 Seiten, 978-3-462-00257-7, 24 Euro.

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