Pierre Bourdieu: Algerische Skizzen

Pierre Bourdieu Algerische Skizzen Buchcover Suhrkamp Verlag

Wie alles begann: „Algerische Skizzen“ von Pierre Bourdieu beinhalten die Grundzüge seiner Soziologie und verbinden diese mit wertvollem Kontextwissen

Mitte der 1950er-Jahre betrat Pierre Bourdieu erstmals algerisches Territorium, und zwar als Soldat während des Algerienkriegs. Der Krieg war das Initiationserlebnis für den damals 25-jährigen Bourdieu, der erkannte, dass sein Fach als intellektuelle Waffe politisch eingesetzt werden musste. Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst begann er, erste Feldforschungen zur Kultur der Berber in der Kabylei durchzuführen. Diese Untersuchungen prägten maßgeblich seine späteren umfangreichen Arbeiten in den Bereichen Soziologie und Wissenschaftstheorie. Durch die systematische Zerstörung einer ganzen Kultur durch das französische Kolonialregime in Algerien erfuhr Bourdieu eine tiefgreifende Erschütterung, die sozusagen als sein Erweckungserlebnis in seiner Funktion als ethnologisch geschulter Soziologe betrachtet werden kann. Insbesondere sein Konzept einer Theorie der Praxis wurde unmittelbar von den Erfahrungen in Algerien beeinflusst.

Die ethnografischen Feldforschungen von Pierre Bourdieu

Pierre Bourdieu Algerische Skizzen Buchcover Suhrkamp Verlag

Die in den 1960er Jahren von Pierre Bourdieu durchgeführten ethnografischen Feldforschungen in der Kabylei, einer Berglandschaft nahe der Stadt Algier und von Berbern bewohnt, markieren einen entscheidenden Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn. In dieser Zeit waren die französischen Kolonialbehörden inmitten eines umfassenden Umsiedlungsprojekts tätig. Durch die militärische „Pazifizierung“ und eine forciertere Modernisierung wurden fast drei Millionen Menschen, nämlich die muslimische Landbevölkerung, aus ihren traditionellen Lebensverhältnissen verdrängt. Sie wurden in sogenannten „camps de regroupement“ untergebracht, die als dörfliche Gemeinschaften organisierte Lager waren. Diese Maßnahme diente dazu, die Bevölkerung den Prinzipien des rationalen Wirtschaftens und anderen Aspekten der westlichen Lebensweise zu unterwerfen. Bourdieu beschreibt diese Vorgehensweise als eine Form der „sozialen Chirurgie“ oder „sozialen Vivisektion“ in seinem Werk.

Der Weg zu den Hauptwerken

Einige Texte dieses Bandes können auch als Darstellung des Algerienkrieges aus der Perspektive der leidenden Bevölkerung gelesen werden. Bourdieus grundlegendes Verständnis für die algerischen Aufständischen hatte nicht dazu geführt, dass er sein politisches Urteilsvermögen verlor. In anderen Texten stehen die Grundzüge der Bourdieuschen Terminologie im Vordergrund. So ist zum Beispiel der erste Entwurf des Habituskonzepts in diesen Schriften auffindbar. Hier beginnt sehr anschaulich der Weg dieses Autors zu seinen Hauptwerken. Vielmehr Und so sind seine „Algerischen Skizzen“ – zu denen schwer zugängliche Texte und ein Interview gehören – ein bedeutender Zugang zum Gesamtwerk des Soziologen Pierre Bourdieu.

Pierre Bourdieu: „Algerische Skizzen“, Suhrkamp, übersetzt von Bernd Schwibs, Achim Russer und Andreas Pfeuffer, kartoniert, 518 Seiten, 978-3-518-30035-0, 28 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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