Ein temporeicher, autobiographischer und kathartischer Roman des „Verschwende Deine Jugend“-Kultautors Jürgen Teipel
von Gérard Otremba
Mit „Verschwende Deine Jugend“ tauchte Jürgen Teipel tief in die deutsche Punk- und New-Wave-Geschichte ein, in „Aber ich kann fliegen“ in die eigene Biographie. Teipels 2001 veröffentlichtes Erfolgs- und Kultbuch verursachte ein gewisses Revival der erwähnten Musikgenres, oder doch zumindest ein erweitertes Interesses einer nachkommenden Generation und bei allen, die jene Zeit selbst erlebten haben. Musik spielt in „Aber ich kann fliegen“ zwar durchaus eine Rolle, ordnet sich jedoch als eines von zahlreichen Themen in den Ablauf unter. Jürgen Teipels Roman gleicht einem Parforceritt durch das eigene Leben. Tatsächlich steht die Bemühung, Musiker zu werden, am Beginn dieses Buches.
Musik und Literatur bei Jürgen Teipel
Das „Krachprojekt“ mit Kumpel Peter in den 70er-Jahren in Regensburg war dann aber doch nicht so zukunftsträchtig, wie von den beiden Bandmitgliedern vielleicht erhofft. Immerhin träumte Jürgen Teipel – der Autor benutzt seinen Klarnamen für die Hauptfigur des Romans – sogar Basslinien. Aber ein geplatztes Trommelfell machte die Sache mit der Musikerkarriere nicht einfacher. Ein Bücherfund sowie die Literatur von Sylvia Plath und Gertrude Stein brachte das Schreiben eines Romans ins Rollen und verdrängte nach und nach die Musikkarriere. Mit Geschichten und Artikeln für die Frankfurter Rundschau hielt sich der 1961 geborene Autor halbwegs über Wasser. Jürgen Teipel springt in den Kapiteln zeitlich munter vor und zurück. Erinnert sich immer wieder an Begebenheiten aus Kinder- und Jugendtagen, die Azubizeit am Amt und das „Falschsein“, die Ängste, das Außenseiterdasein und das komplizierte Verhältnis zum Vater als Kind in Kulmbach inklusive. Berufliches und Privates geht bei Teipel Hand in Hand.
Die schwierigen Beziehungen zu Frauen und ein Leben in (gefühlter) Dauertherapie sind Topoi von „Aber ich kann fliegen“, genauso wie zunächst zähe Schriftstellerentwicklung hin zur Veröffentlichung von „Verschwende Deine Jugend“.
Teipels Emazipationsprozess
Mit DuMont-Verlagsleiter Ernst Brücher hat einer aus der Branche immer an Teipel geglaubt, nur brachte der Kölner Verlag damals noch keine Prosa heraus, mithin also der falsche Verlag für Jürgen Teipel, der mit Brücher ein schon freundschaftlich zu nennendes Verhältnis pflegte. Und immer wieder kommt der von Selbstzweifeln geplagte Jürgen Teipel zum Vorschein, der sich bei Tischgesprächen mit Ernst Brücher als „Hochstapler“ fühlte, der trotzdem mit einem Buch zu einem Kultautor avancierte und als Kurator einer Punkausstellung in Düsseldorf arbeitete. Teipel erzählt in seinem Roman temporeich von einem lang andauernden Emanzipationsprozess, erzählt eindringlich von Erwartungen anderer und den eigenen, häufig diametral entgegengesetzten Vorstellungen vom Leben. Man rauscht regelrecht durch das Buch, das trotz der oft heiklen Themen durch einen großen Unterhaltungsfaktor überzeugt und eine bewegende Vater-Sohn-Versöhnung bietet. Für Jürgen Teipel gerät „Aber ich kann fliegen“ zu einem kathartischen und für die Leser zu einem faszinierenden Werk.
Jürgen Teipel: „Aber ich kann fliegen“, Schöffling & Co, Hardcover, 224 Seiten, 978 3 89561 619 8, 24 Euro (Beitragsbild von Imrgard Maurer)