Jürgen Habermas: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik

Jürgen Habermas Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik Cover Suhrkamp Verlag

In seinem neuen Essay passt der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas sein Hauptwerk von 1962 an die Jetzt-Zeit an

Auch mit 93 Jahren ist Jürgen Habermas ein umtriebiger und visionärer Denker. Und einer, der auch die eigenen Ideen immer wieder anpasst, neu ausrichtet und präzisiert. So auch sein „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ aus dem Jahr 1962, jener großer Klassiker der Soziologie des 20. Jahrhunderts, mit dem Habermas einen Begriff von Öffentlichkeit etablierte, der sich irgendwo zwischen Zivilgesellschaft und politischem System verortete. Habermas bettete die Öffentlichkeit somit in einen breiteren sozialstrukturellen Kontext ein.

Das Zeitalter sozialer Medien und ihrer Folgen

Jürgen Habermas Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik Cover Suhrkamp Verlag

Sechs Jahrzehnte später knöpft sich Habermas seinen Entwurf noch einmal vor und fragt, wie Öffentlichkeit den Bestand des demokratischen Gemeinwesens im Zeitalter sozialer Medien und ihrer Folgen sowie vor dem Hintergrund einer kollektiven Selbstbestimmung, die den egalitären „Universalismus der Gleichberechtigung aller mit dem Individualismus eines jedes Einzelnen“, sichern kann. Auf verhältnismäßig knappen 109 Seiten nähert sich Habermas dieser Frage zunächst mit einer Beschreibung des deliberativen Charakters der Meinung- und Willensbildung der Wähler:innen, bevor er sich dann der Beschreibung der spezifischen Veränderungen der Medienstruktur widmet.

Jürgen Habermas und die „ambivalente Sprengkraft“

Das WWW habe eine zentrifugale Entgrenzung einer zugleich beschleunigten Kommunikation auf beliebig viele Teilnehmer:innen in beliebiger Entfernung bewirkt, was Habermas als „ambivalente Sprengkraft“ beschreibt. Die Folgen für die Medienproduktion, -rezeption und -wirkung sind enorm. Hierbei geht es nicht nur um die Rolle der ehemals meinungsführenden Massenmedien und ihrer Kontrollfunktion, die zunehmend beschränkt wird (Stichwort Fake News), sondern auch um individuelle Mediennuztzungsverhalten und damit in Zusammenhang stehende Vertrauensmuster und gemeinschaftsstiftende Aktivitäten.

Habermas übernimmt den Begriff der „Disrupted public spheres“, um die Notwendigkeit einer kontrollierenden Medienstruktur zu betonen. Und so endet Habermas sein Update mit dem dringlichen Appell: „Es ist deshalb keine politische Richtungsentscheidung, sondern ein verfassungsrechtliches Gebot, eine Medienstruktur aufrechtzuerhalten, die den inklusiven Charakter der Öffentlichkeit und einen deliberativen Charakter der öffentlichen Meinung und Willensbildung ermöglicht.“

Jürgen Habermas: „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik“, Suhrkamp, Klappenbroschur, 108 Seiten, 978-3-518-58790-4, 18 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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