Jan Müller und Rasmus Engler: Vorglühen

Rolling Stone Beach Festival 2022 Jan Müller & Rasmus Engler by Gérard Otremba Sounds & Books

In Anlehnung an Sven Regener debütieren Jan Müller und Rasmus Engler mit einem vergnüglichen, kurzweiligen und tiefgründigen Roman

Hamburg, Frühling 1994 und es regnet. Es regnet beständig und relativ häufig in Jan Müllers und Rasmus Englers Debütroman „Vorglühen“. Der Mythos des berühmten Hamburger Dauerregens wird zum Running Gag dieses Buches und ein eher widriger Begleitumstand für Albert Bremer, dem aus dem Oberbergischen nach Hamburg gezogenen Protagonisten. Nach der Trennung von der stets Hermann Hesse lesenden Nele zog es Albert zum Germanistikstudium in die Hansestadt, zunächst über elterliche Beziehungen nach Barmbek, recht bald jedoch landet er in einer WG in der „schäbigen“ Talstraße in St. Pauli. Mittenrein also ins Hamburger Leben, das ein Studium in den Hintergrund schiebt. Denn da ist ja die Noise-Rock-Punk-Band von Gernot, Claus und Gunesch – in die Albert hineinstolpert und schnell mit seinen guten Ideen an der Songwritermacht von Claus rüttelt – von der keiner so richtig weiß, wie sie eigentlich heißt. Namensvorschläge kursieren täglich unter den Bandmitgliedern und in durchgemachten Nächten fast minütlich.

Jan Müller und Rasmus Engler erinnern an Sven Regener

Jan Mueller Rasmus Engler Vorgluehen Cover Ullstein Verlag

Gefeiert und getrunken (und manchmal auch geflucht) wird – wie es der Romanname bereits impliziert – viel im ersten Roman von Tocotronic-Bassist Jan Müller und Rasmus Engler, u.a. bekannt als Mitglied der Band Herrenmagazin sowie als Gitarrist in Müllers Nebenprojekt Das Bierbeben. Aus gemeinsamen früheren Tagen ist den beiden das Leben in einer Wohngemeinschaft in besagter Talstraße nicht fremd. Die detaillierten Beschreibungen aus dem WG-Leben sind geistreich, die Dialoge pfiffig und die Charakterzeichnungen der zahlreichen Nebenfiguren liebevoll. Das alles erinnert phasenweise an den „Herr Lehmann“-Kosmos von Sven Regener, der neben seines Witzes und seiner charmanten Erzählart für die Ausarbeitung einiger denkwürdiger Charaktere bekannt geworden ist. Von denen wimmelt es in „Vorglühen“ nicht minder.

Eine Freddy-Quinn-Kennerin

Ob die Comichändler-Tochter Diana, auf die Albert ein Auge geworfen hat, der WG-Hauptmieter Toni, der permanent aufgedrehte Ripplinger, oder der verpeilte Marco Weber, dem Albert die Barmbeker Wohnung untervermietet hat. Sie und viele mehr bevölkern diesen, trotz der offensichtlichen Komik und hohen Feierdichte, sehr tiefgründigen Roman. Nicht zu vergessen die liebenswerte alte Talstraßen-Nachbarin und Freddy-Quinn-Kennerin Gertrude Baszak, die sich für Albert in einer Krisenzeit als eine wichtige Stütze entpuppt. Film- und fortsetzungsreif  setzen Jan Müller und Rasmus Engler Plot und Personal dieses vergnüglichen und kurzweiligen, mit popkulturellen Referenzen angereicherten Coming-of-Age- und Entwicklungsromans in Szene. Mit Albert erfinden sie einen zwischen Nebenjobs, Verliebtheit, Musikmachen und Sich-treiben-lassen changierenden (Anti-)Helden mit Potential für biographische Weiterentwicklung. Und am Ende des Romans hört sogar der Hamburger Regen auf.   

Jan Müller und Rasmus Engler: „Vorglühen“, Ullstein, Hardcover, 384 Seiten, 978-3-550-20149-3, 21,99 Euro. (Beitragsbild: Jan Müller und Rasmus Engler, Lesung beim Rolling Stone Beach Festival 2022, Credit: Gérard Otremba)

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