Im Rückspiegel – Hamburg-Konzerte

Blurry Future Hamburg 2021 Häkken by André Itjes

Die Hamburg-Konzerte der letzten Woche im Rückspiegel mit Shannon Lay, Blurry Future, Jesse Markin, Tamar Halperin, Guy Sternberg, Lyra Pramuk und Caterina Barbieri

Am Montag, 8. November 2021 heißt es, die Woche gemächlich im Aalhaus anzugehen. Die US-Singer-Songwriterin Shannon Lay ist tatsächlich in der Stadt, um ihr aktuelles Album „Geist“ vorzustellen, das im Oktober erst über Sub Pop veröffentlicht wurde. Mehr als eine Akustikgitarre und ihren ruhigen Gesang braucht es nicht. Lay’s Stimme scheint nicht von dieser Welt zu sein, sie fesselt ungemein und lullt ein. Psych-Folk at it’s best. Neben eigenen Songs spielt sie auch Cover-Versionen, etwa ihr Lieblingsstück der britischen Folk-Sängerin Vashti Bunyan.

Shannon Lay und eine Fast-Doppelgängerin

Das Punk-Quartett Feels, von dem Lay ein Teil war, hat sich leider aufgelöst, erzählt die Songwriterin im Gespräch nach dem Konzert. Um den Abend abzurunden, dann noch eine Signatur auf der aktuellen Platte am Merch ergattert – Shannon Lay malt übrigens zu ihrer Unterschrift immer eine Comic-Zeichnung von Bart Simpson dazu (einfach weil sie Fan ist). Im Publikum war zudem eine Fast-Doppelgängerin von Lay anwesend, die – darauf angesprochen – erzählt, dass sie auch in gleich zwei Bands am Start ist: Mirror Glaze und Tot. Diese auszuchecken steht jetzt auf der To-Do-Liste. Im Vorprogramm war noch die in Berlin lebende Britin Martha Rose dabei, die ebenso mit ruhigen Songs überzeugte, allerdings an der Stromgitarre.

Die Hamburg-Konzerte mit 20 Years Popup-Records im Häkken

Am Dienstag, 9. November 2021 wird dann im Häkken Fahrt aufgenommen und in die Woche reingerockt. Popup feiert immer noch 20 YEARS und hat Jesse Markin in den Kiezclub eingeladen. Das Hamburger Newcomer-Duo Blurry Future darf einheizen und lässt sich nicht lumpen: Sie stehen nun als Trio auf der Bühne, ergänzt um den neuen DJ. Marlon Mausbach und Charlie Becher überzeugen wie gehabt mit ihren Klangwelten zwischen Rap, Alternative und Pop. Becher ist wirklich ein Front-Girl und liefert mit einer exzellenten Performance ab, hat zudem noch ein tolles Bühnenoutfit im Latex-Look an. Mausbach hat sich einen Bart wachsen lassen und spielt lässig die Stromgitarre.

Bis April 2022 müssen sich die Fans noch gedulden, dann erscheint endlich das Debütalbum „Alligator“. Aber Blurry Future spielen natürlich bereits Kostproben beim Konzert im Häkken, so etwa die aktuelle Single „Tears Are My Religion“, eine sanfte und doch bestimmte Erinnerung daran, trotz Ängsten und Zweifeln selbst das „Steuer des Lebens“ in die Hand zu nehmen – nach dem Credo: „My fears make me who I am / I’d follow them through the darkness any time.“ (Schaut euch gerne auch das Musikvideo zu dem Song an, das ist richtig toll geworden).

Als Haupt-Act ist der Singer-Songwriter Jesse Markin mit seiner Band aus Helsinki angereist. Markin ist in Liberia geboren und in Finnland aufgewachsen, er bewegt sich musikalisch zwischen Rap und Indie. Soulvolle Pop-Songs wechseln sich ab mit schillernden Indie-Gospel-Zwischenspielen und intensiven Rap-Parts auf verzerrten Gitarren-Riffs. Verstärkt an Bass, Gitarre und Schlagzeug liefert Markin als Showman ab. Die Band ist wirklich gut und das junge Publikum ist voll dabei und geht extrem steil! Markins Platte „Noir“ ist übrigens auf popup-records in blauem Vinyl erschienen und ziemlich empfehlenswert.

Die Hamburg-Konzerte mit Klavier und Live-Elektronik im kleinen Saal der Elphi

Am Donnerstag, 11. November 2021 dann wieder in der Elbphilharmonie in den kleinen Saal – das fühlt sich mittlerweile an wie nach Hause kommen. Hier entführen Tamar Halperin am Klavier und Guy Sternberg an der Live-Elektronik in die Klangwelten von Erik Satie. Als der Franzose ab 1880 begann, Musik für Klavier zu komponieren, verstand niemand, was diese sphärischen Töne sein sollten. Satie war allerdings ein Vorreiter der Minimal Music und Künstler wie Ólafur Arnalds oder Ludovico Einaudi ließen sich sicherlich von ihm inspirieren. Tamar Halperin eröffnet den Konzertabend nach einem etwa zehnminütigen Solo-Part am Piano mit einer Anekdote: Als Satie 1925 an den Folgen seiner Alkoholsucht starb, fanden Freunde in seiner Wohnung ein seltsames Durcheinander vor. Unzählige Regenschirme überall und im größten Zimmer zwei aufeinandergestapelte Konzertflügel.

Halperin und Sternberg haben dies als Anregung verstanden und einen Konzertflügel, Cembalo, Glockenspiel, Hammondorgel, Wurlitzer-Piano und natürlich Computersounds übereinander gestapelt, um Saties Klangwelt zeitgemäß auf dem Album „Satie“ zu Gehör zu bringen. Bei ihrem Auftritt reduziert Halperin die Instrumentierung auf „Steinway“-Flügel, Stage-Piano und Glockenspiel. Die Stücke von Satie sind alle sehr kurz, deshalb spielt sie in einer Dreiviertel-Stunde quasi ein Mash Up, ergänzt um Stücke von John Cage, Chick Corea und Claude Debussy, der übrigens ein Freund von Satie war. Sehr eindringlich, das Ganze.

Die „ePhil“-Reihe in der Elbphilharmonie mit Caterina Barbieri und Lyra Pramuk

Am Sonntag, 14. November 2021 dann nochmal Platz nehmen im kleinen Saal der  Elbphilharmonie. Aufregende neue Sounds bietet da die Elektro-Reihe »ePhil«, die nach erfolgreichen Jahren im Hochbunker auf St. Pauli mittlerweile dort eingezogen ist – und das Konzerthaus nun regelmäßig in einen Club verwandelt. Diesmal ist die italienische Komponistin und studierte Elektrokünstlerin Caterina Barbieri zu Gast. In ihrer Musik schafft sie komplexe Klanggebilde, psychoakustische Täuschungen aus sich wiederholenden Impulsen und polyrhythmischen Verschiebungen.

Die amerikanische Sängerin und Wahlberlinerin Lyra Pramuk eröffnet den Abend zunächst alleine am Laptop und mit einer Stimme, die eher lautmalerisch daherkommt. Dann gesellt sich Barbieri im futuristischen Raumanzug dazu und bedient Knöpfe und Regler an ihren technischen Gerätschaften. An der (musikalischen) Schnittstelle von Mensch und Technologie will sie ihr Publikum in Trance versetzen. Das funktioniert an diesem Punkt schon mal ganz gut.

Die Zusammenarbeit mit Lyra Pramuk bildete den Auftakt ihres gerade erst gegründeten Labels light-years (das Musikvideo zu „Knot Of Spirit“ ist mehr als sehenswert). Pramuk verlässt die Bühne und fortan wird der Sound von Barbieri raviger. Etwas Videokunst hätte den Abend besser visualisiert als die grünlichen Spots, die sich zumindest ab und an bewegt haben. Und vor allem Barbieri hätte gerne auch eine freundlichere Ausstrahlung haben können, wirkte eher zurückgenommen-düster in ihrem Gothic-Look. Pramuk gab sich da schon expressiver und tanzte sogar ansatzweise. Auf eindringlich-düstere Art überzeugte indes die Klangkost doch.

(Beitragsbild: Blurry Future von André Itjes)

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