Bora Cosic: Operation Kaspar – Roman

Bora Cosic Operation Kaspar Cover Schöffling Verlag

In „Operation Kaspar“ erzählt der große avantgardistische, am 05.04.2022 90 Jahre alt werdende Schriftsteller Bora Cosic die europäische Kultur des 20. Jahrhunderts als Trümmerwüste

In einer ungenannten Stadt irgendwo im Süden Europas leben eine Frau und ein Mann, beide namenlos, mittleren Alters und vermutlich ein Ehepaar, beziehungslos nebeneinander her. Die Frau stapft im Unterrock durch die mit tausenderlei Dingen vollgestopfte Wohnung (barfuß, obwohl das gesetzlich verboten ist), sucht nach verlorenen Rechnungen, betrachtet die „kopflosen Puppen ihrer Kindheit“, putzt, kocht und näht abgerissene Knöpfe an, ohne zu bemerken, dass der Garnfaden sich bei ihren Wanderungen durch die Wohnung an die „rissige Hornhaut ihrer Ferse geheftet hat und sich nun verheddert.“

Auftakt: Frau im Unterrock, Mann mit Hut

Der Mann, ebenfalls in Unterwäsche, ist unrasiert und trägt einen Hut, der ihn schützen soll wie ein Dach über dem Kopf. Hin und wieder spannt er einen Regenschirm auf, die zusätzliche Verschattung verstärkt sein Sicherheitsgefühl. Meist sitzt er in der Ecke des Zimmers, trinkt flaschenweise Bier, grübelt, spielt ein bisschen Geige und schneidet mit einer „rostfleckigen Schere“ Bilder aus alten Zeitungen, die beweisen, dass in der Welt jenseits des streng abgeschotteten Zimmers Krieg herrscht: „er tobt in vielen Ländern, ein Kind rennt, verbrannt von einer Brandbombe, die Straße hinunter und Fetzen seiner Haut fallen hinter ihm zu Boden.“

Manchmal setzt der Mann sich aufs Fahrrad und pedaliert auf der immergleichen Route an Müllhaufen und bergeweise „herumliegenden Schuhen“ vorbei durch die „kleineren Zimmer“ der Wohnung, in der es auch noch gewaltig stinkt – nach „Erinnerungen an Ereignisse, die nie stattfanden“, nach „Melancholie“ und „Provinz“, nach „Elendsausgabe von Leben.“

Dass es solche Zimmer in Europa gibt, erfahren wir von einem quasi über den Dingen schwebenden Erzähler-Ich, das die Szenerie lediglich beobachtet und im lässigen Plauderton kommentiert, ohne jedoch einzugreifen. Überhaupt kommt der schmale Roman, der mit den wenigen Figuren und der Fokussierung auf eine bedeutungsgeladene Dingwelt an ein Kammerspiel erinnert, fast ohne Handlung aus (und bis auf eine Ausnahme auch ohne wörtliche Rede).

Zwischenakt: Auf der Straße

Nichts, was sich im Zimmer mit dem Müll und dem seltsamen Paar abspielt, ist nach gängigen Maßstäben plausibel. Die Frau und der Mann scheitern kläglich an alltäglichsten Verrichtungen, braten zum Beispiel Spiegeleier auf dem Bügeleisen, weil ihnen nicht klar ist, was die Gegenstände bedeuten. Auch die Gegenstände selbst sind unfrei; seit ihre natürliche Unordnung durch menschliche Hand zerstört wurde, sie vegetieren im Elend dahin.

In dieser eigentlich ausweglosen Konstellation können wir nur erahnen, was genau den Mann mit Hut und die Frau im Unterrock schließlich hinaustreibt, raus auf die Straße, auf der sie sich eines Tages mit einem viel zu großen, leeren Pappkoffer wiederfinden.

Da stehen sie nun, bestellt und nicht abgeholt, wie gewisser „Milanović“ es angeblich zugesichert hatte, und „jetzt zeigt das, was das Zimmer umgibt, in dem sich ihr bisheriges Sein abspielte, sein wahres Gesicht, die Welt da draußen ist von Milanovićs bevölkert, die viel versprechen, und später kommt alles anders.“

Schlussakt: Im Gemüsegartenparadies

Es kommt so, dass der Mann und die Frau in Polizeigewahrsam landen, in einer blitzblanken Zelle, bis sie zu einem Professor Daumer abgeschoben werden, der nach der überstürzten Flucht seiner zwei russischen Erntehelfer dringend Arbeitskräfte für die Spargelernte braucht.

Der letzte Akt der Geschichte spielt im Norden, im Garten des Professors, wo alles ordentlich, aufgeräumt, genau geplant und berechnet ist, eingeschlossen die „drei Palmen, exakt im gleichschenkligen Dreieck gepflanzt.“ Auch hier zeigt sich bald, dass mit dem Paar keine normalsprachliche Verständigung möglich ist. Der philanthropisch gesinnte Professor Daumer entwickelt daher eine Art „botanisches Esperanto“, das er mit ganz erstaunlichem Erfolg zur Erziehung, zur Geistes- und Seelenbildung seiner Hilfskräfte einsetzt – bis der Erzähler mit einem brachialen Cut alle Hoffnung auf ein gutes Leben erbarmungslos zerplatzen lässt.

Eine glanzvolle Geschichte von Bora Cosic

Mit Operation Kaspar schreibt der in Berlin lebende serbische Schriftsteller Bora Cosic einen höchst eindrucksvollen Roman über ein Europa, das nach einer teils glanzvollen Geschichte im kriegerischen 20. Jahrhundert in furchtbarste Abgründe stürzt und dessen Kultur sich am Ende als wüste Trümmerlandschaft vor uns ausbreitet.

Auch erzählerisch herrscht kalkuliertes Chaos, natürliche Unordnung, in bester avantgardistischer Manier lakonisch hingeworfen in unzähligen Anspielungen, Andeutungen, ikonischen Bildern, Namensnennungen, Zitationen und Umschreibungen aus dem reichen Fundus europäischer Kultur und Geschichte, überquellend an Bedeutungen, tiefsinnig, abgründig, gnadenlos ehrlich und großartig zu lesen.

Bora Cosic: „Operation Kaspar“, Schöffling, aus dem Serbischen von Brigitte Döbert, Hardcover, 128 Seiten, ISBN 978-3-89561-617-4, 18 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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