Raus aus der eurozentrischen Sichtweise: Anke Graneß rollt mit „Philosophie in Afrika“ die Philosophiegeschichte neu auf
Dekolonialisierung ist ein langer Prozess. Dabei geht es nicht einfach nur darum, afrikanische Kulturgüter aus hiesigen Völkerkundemuseen zurückzugeben und Ausgleichszahlungen vorzunehmen. Vielmehr muss die Geschichte endlich vollständig und korrekt erzählt werden. Anke Graneß, Privatdozentin für Philosophie und Geschäftsführerin des Reinhart-Koselleck-Projekts der DFG „Geschichten der Philosophie in globaler Perspektive“ an der Universität Hildesheim, leistet mit ihrem Buch „Philosophie in Afrika – Herausforderungen einer globalen Philosophiegeschichte“ einen wertvollen Beitrag zur Dekolonialisierung der Philosophie, denn bisher ist die Philosophiegeschichtsschreibung überwiegend eurozentrisch. Erzählungen der Philosophiegeschichte hätten einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung und das Verständnis von Philosophie sowie auf die Art und Weise wie sie betrieben werde, auf die akademische Institutionalisierung als Disziplin und schließlich auch darauf, „welche philosophischen Werke und Autor:innen früherer Jahrhunderte gelesen werden.
Kritische Stimmen aus Afrika
Diese eurozentrische Erzählweise der Philosophiegeschichte wird heute in Frage gestellt. Die kritischen Stimmen kommen aus Afrika, Asien, Südamerika und weiteren Regionen der Welt und plädieren für eine Integration marginalisierter und ignorierter Denktraditionen. Anke Graneß erzählt auf knapp 700 Seiten – aufgeteilt in zwölf Kapitel – die Philosophiegeschichte mit explizitem Blick auf Afrika – vom Alten Ägypten über Westafrika bis zur afrikanischen Diaspora. Über die philosophische Tradition Afrikas sei kaum etwas bekannt (während zum Beispiel Indien ganz anders wahrgenommen werde). Diese Auseinandersetzung mit dem Kontinent wirft grundlegende Fragen zum Umgang mit Denktraditionen oraler Gesellschaften sowie mit alternativen Quellen und philosophischen Praktiken auf. Gleichfalls stellen sich ethische Fragen nach der Rolle von Religion, Rassismus und Sklaverei in der Philosophie oder der Deutung und Aneignung von intellektuellem Erbe.
Ein weiter Philosophiebegriff von Anke Graneß
Zur Kolonialisierung gehörte stets auch die bewusste Zerstörung einheimischer Praktiken der Wissensgenerierung und -weitergabe bei gleichzeitiger Aufdrängung des europäischen Bildungssystems. Anke Graneß‘ Arbeit zeigt auf, was da beinahe ausradiert wurde. Ihr Philosophiebegriff ist ein weiter. Sie schließt Denksysteme und -methoden aller Art mit ein. Was sie jedoch offenlegt, ist zum einen, dass viele Pioniere der europäischen Philosophie inspiriert waren von afrikanischen Denkern und zweitens, dass die afrikanische Philosophie Inhalte thematisiert hat, die es so in der europäischen Philosophie nie gegeben hat und dabei weit über die eigene Perspektive wirken.
„Philosophie in Afrika“ ist nicht nur einfach lehrreich und bewusstseinserweiternd. Es ist ein notwendiges und enorm wichtiges Buch, dessen Wirkung die Philosophiegeschichte in der Tat neu schreiben kann.
Anke Graneß: „Philosophie in Afrika – Herausforderungen einer globalen Philosophiegeschichte“, Suhrkamp Wissenschaft, kartoniert, 685 Seiten, 978-3-518-29990-6, 30 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)