Angelina Roth versetzt die Closerie ins Digitale und erörtert dort Fragen der Kunst
Drei Menschen treffen sich online und sprechen gemeinsam über Kunst und Kreativität. Sie suchen nach Motivation und orientieren sich bei all dem an der berühmten Closerie des Lilas in Paris. Es fehlt das Ambiente der echten Bar und so stellen sie Weinflaschen auf und suchen schicke Lederstühle. Dabei lassen sie einander teilhaben an ihren Zweifeln und manchmal auch an ihrem Schaffen, erleben sich zwischendurch sehr privat. Es mutet zuerst ein wenig gewagt an, diese Idee, sich über das Worldwideweb-Fenster zu sehen und die Nachmittage in diesem hybriden Zustand miteinander zu verbringen. Haben sich die Menschen an ihren Bildschirmen etwas zu sagen? Wer sind sie, dass sie ohne an eben jenen Bildschirmen arbeiten zu müssen, frei in den Tag philosophieren können?
Das Leben im Quadrat wird erst bei einem physischen Treffen wirklich fühlbar
Natascha ist als erfolgreiche Businessfrau erfrischend kommunikativ und sympathisch, sie nimmt, was das Leben so gibt und manchmal auch etwas mehr. Sie hat ihre Firma verkauft und nun genug Geld, um sich der Malerei zu widmen. Johannes, Typ grummeliger Bär, lebt bescheiden und hat bereits einen mittelmäßigen Gedichtband veröffentlicht. Schließlich gibt es noch Damian, der die Closerie initiiert hat und aus dessen Perspektive erzählt wird, wenn die Computerbildschirme ausgeschaltet sind. Er ist der überraschendste Protagonist, mit tragischem Hintergrund, der sich aber frei strampelt aus den Unmöglichkeiten des Lebens und letztendlich seinen Platz findet.
Die digitale Closerie ermöglicht einen virtuellen Zwischenraum und mit ihm gibt es auch eine Art Zwischenzeit, in dem das Leben meist unaufgeregt stattfinden kann, wo es sich sortiert und findet, ein Leben im Quadrat, als Blaupause. Doch dieses Leben und seine Protagonist:innen werden erst fühlbar und nah, wenn sie sich physisch treffen. Die Zwischentöne ändern sich, die Farben bekommen mehr Nuancen, es wird heißer und luftiger. Anstatt des kleinen Fensters zur Küche sehen die Leser:innen in Basel, wo sich alle drei treffen, den beinahe 360 Grad-Winkel, das volle Leben also.
Angelina Roth beschreibt das Künstler:inndasein in kluger und witziger Sprache
Angelina Roth übersetzt die Erfahrung der Pandemie, ein Leben und Wirken, das zunehmend an den digitalen Raum gebunden ist, gelungen in ihrem Roman. Sie kennt die Zutaten für eine kurzweilige Erzählung und sie gibt eine Prise Liebe, etwas Schmerz und die Fragen nach dem Sein in ihre Erzählung. Ihre Sprache ist klar, klug und witzig. Wenn es da um das Künstlerdasein geht, entfaltet die Erzählung ihren Esprit: “Manchmal wäre es schön, wenn das Schreiben nicht so eine fisselige Tätigkeit wäre (…). Schreiben durch Holzhacken.”
Und die Aussage, dass die Kunst kein “richtiger Beruf” sei, könnte man mit Blick auf die Unmöglichkeit genug Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen, durchaus entschuldigen. Am Ende gibt es dann diese sehr schöne Erkenntnis: “In einem richtigen Beruf versucht man, sich anzupassen und die Sprache der anderen zu sprechen, man probiert seine Defizite zu überwinden (…). (Als Künstlerin) versucht man, all das zurückzuholen; die eigene Sprache, seine Schwächen, Verwundbarkeit.” Ein schönes Plädoyer für die Kunst, die schließlich auch eine Berufung sein kann.
Weitere Informationen über Autorin und Buch sind auf der Homepage der Künstlerin erhältlich. (Beitragsbild: Pressefoto, privat)
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