ZZ Top: Raw – Albumreview

ZZ Top Raw Cover BMG Rights

Der Soundtrack zur ZZ-Top-Doku „That Little Ol’ Band From Texas“ von Sam Dunn

New Braunfels ist eine kleine, von deutschen Einwanderern gegründete und etwas verschlafene Stadt ziemlich genau in der Mitte von Texas. Dort befindet sich die Gruene Hall, ein legendärer Honky Tonk-Schuppen, der seit 1878 ununterbrochen in Betrieb ist. Und auf dessen Bühne haben sie sich vor einigen Jahren eingefunden: Billy F. Gibbons (Gitarre), Dusty Hill (Bass) und Frank Beard (Schlagzeug) – die drei Herren, die seit 1969 die Band ZZ Top bildeten, bis zu Hills Tod im vergangenen Jahr.

ZZ Top wie vor 50 Jahren

Zwölf Stücke dieser Session in der Gruene Hall – sie hat übrigens nur einen einzigen Tag gedauert – sind nun auf dem jüngst erschienenen Album „Raw“ zu hören. Es ist keine live-Aufnahme im klassischen Sinn: Die drei Musiker haben die Songs zwar gemeinsam live auf der Bühne eingespielt, allerdings nicht für ein Publikum, sondern für Kameras. Die Session war eine Idee des Regisseurs Sam Dunn, der für seine Grammy-nominierte Netflix-Doku „That Little Ol’ Band From Texas“ (2019) die drei Jungs so musizieren lassen wollte, wie sie es zu Beginn ihrer Karriere vor über fünfzig Jahren getan haben.

Spielfreudig wie eh und je

Und schon bei den ersten Takten des Eröffnungsstücks „Brown Sugar“ drängt sich der Eindruck auf, dass die Idee des Regisseurs nicht nur funktioniert, sondern sich, auch jenseits der Dokumentation, als musikalischer Glücksfall entpuppt. Gibbons, Hill und Beard sind so spielfreudig wie eh und je, und ihre nonchalante Lässigkeit durchdringt die Songs auf eine Weise, wie nur ZZ Top es können, bis die Lässigkeit selbst Teil des Sounds wird. Und mag es nun an der ehrwürdigen Gruene Hall liegen oder am Feingefühl des Regisseurs; die Band wirkt vom ersten bis zum letzten Ton auf die bestmögliche Weise aufs Wesentliche reduziert und fokussiert – eben raw.

Die langsamen Nummern glänzen

ZZ Top Raw Cover BMG Rights

Überraschungen wird man kaum finden auf dem neuen Album. Aber für Überraschungen ist das bärtige Trio aus Texas auch noch nie gut gewesen. Wie kaum eine andere Rock-Formation zelebrieren sie schon seit ihren Anfängen die handgemachte Zuverlässigkeit ihrer Musik. Auch auf „Raw“ fehlen die Klassiker nicht: „La Grange“, „Gimme All Your Lovin“ und „Legs“ werden gespielt wie sie immer gespielt werden, bis hin zu denselben Soli, aber warum auch nicht? Solange sich die Band nicht langweilt, tun wir es auch nicht. Und dann sind da noch die langsamen Nummern.

Sie sind es, die auf „Raw“ vor allem glänzen und es zu einem wirklich spannenden Album machen: neben dem schon erwähnten „Brown Sugar“ auch „Blue Jean Blues“ und „Certified Blues“. Und bei dem Rausschmeißer „Tube Snake Boogie“ werfen sich Gibbons und Hill derart vergnügt ihre Textpassagen hin und her, dass es eine wahre Freude ist und man gern noch mehr hören würde.

Eine ZZ-Top-Abschiedsvorstellung

Damals ungeplant, ist „Raw“ auch zu einer Abschiedsvorstellung geworden: 2021 ist ZZ-Top-Bassist Dusty Hill verstorben. Ich bin ihm einmal begegnet, backstage, kurz vor dem Auftritt der Band bei einem Open Air-Konzert in Süddeutschland. Auf meinen etwas zaghaften Gruß hin nickte er, schon in voller Bühnenmontur, bedächtig, als hätte ich etwas gesagt, das sich lohnte, darüber nachzudenken. Dann gab er ein „Awright“ zurück, das mir heute noch in den Ohren klingt. Ich habe mich nie so sehr out on the range gefühlt, weit draußen in der mythischen texanischen Steppe, wie in jenem Augenblick. Und ZZ Top, das machen sie auf „Raw“ einmal mehr klar, kennen noch immer den Weg dorthin.

„Raw (That Little Ol’ Band From Texas Original Soundtrack)“ von ZZ Top erscheint am 22.07.2022 bei BMG Rights. (Beitragsbild: Albumcover)

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