Wolfgang Schorlau: Am zwölften Tag

Spannend, aufwühlend und aufklärend: Georg Dengler ermittelt in der Fleischindustrie

von Gérard Otremba

Für Georg Dengler beginnt der neue Fall mit dem Auftauchen seiner Ex-Frau Hildegard. Die ist völlig durch den Wind, weil sich ihr gemeinsamer Sohn seit drei Tagen nicht mehr aus seinem Barcelona-Urlaub gemeldet habe. Der ehemalige BKA-Fahnder und nun in Stuttgart ansässige Privatdetektiv versucht zu beschwichtigen, schließlich sei Jakob Dengler bereits volljährig, ein Urlaub mit Freunden, ohne sich jeden Tag bei „Mama“ zu melden, sollte für ihn wohl möglich sein. Doch Hildegard lässt nicht locker und eine fingierte SMS sowie deren vermeintliche Beantwortung rufen letztendlich auch die Spürnase Dengler auf den Plan. Während der Leser Dengler immer einen kleinen Schritt voraus ist, verfolgt dieser mit seiner Freundin und PC-Expertin Olga die „Barcelona“-Spur, entdeckt dabei Jakobs idealistische Tierschutzaktivitäten, die ihn und seine drei gleichgesinnten Freunde in eine lebensbedrohliche Situation führen.

Es ist höchste Eile für Georg Dengler geboten, um seinen Sohn aus der mehr als misslichen Lage zu befreien. Wie üblich macht der in Idar-Oberstein geborene Wolfgang Schorlau auch im siebten Fall seines Privatermittlers Georg Dengler einen gesellschafts-politisch relevanten Missstand zum Thema des Romans. Im Am zwölften Tag stehen die Praktiken der Fleischindustrie am Pranger. Wie schreibt der 62-jährige Autor so schön im Nachwort: „Die Fleischindustrie hat sich ihren miserablen Ruf hart erarbeitet. Die Wirklichkeit ist jedoch vielfach noch schrecklicher als die übelsten Phantasien.“ Den Ruf der Fleischindustrie verkörpert in Am zwölften Tag der Großindustrielle Carsten Osterhannes, der mit zynischen Monologen über sein Reich als „Hühnerbaron“, der selbstverständlich auch Putenfleisch aus Massentierhaltung auf den Markt wirft, referiert und nebenbei den Kapitalismus erklärt („Hohe Stückzahlen verringern die Kosten pro Stück“). Dass die dortigen Produktionsbedingungen für Vieh und Mensch, den Menschenhandel mit Billiglohnarbeitern aus Osteuropa webt Schorlau geschickt in den Handlungsstrang ein, eine vegetarisch-vegane Schülerfront auf den Plan rufen, erscheint mehr als verständlich.

In gewohnt sehr kurzen Kapiteln springt der in Stuttgart lebende Wolfgang Schorlau zwischen den Dengler-, den Tierschützer-, den Arbeiter- und den Industriellen-Episoden hin und her, alle kommen zu Wort, ein Urteil kann sich der mündige Leser selbst bilden. Wolfgang Schorlau sucht sich für seine Dengler-Krimis immer wichtige und unbequeme Themen oder Ereignisse der deutschen Geschichte aus. Von der RAF (Die blaue Liste) über die Wasserversorgung (Fremde Wasser) bis hin zum Anschlag auf das Münchner Oktoberfest von 1980 (Das München-Komplott) und die mafiösen Zustände der Pharmaindustrie (Die letzte Flucht). Die Aufklärung der Verquickung von Politik und Wirtschaft ist dabei immer spannend und aufwühlend, ein Versprechen, das Schorlau auch in Am zwölften Tag bestens einlöst. Mit dem dazugehörigen Idealismus hat sich Wolfgang Schorlau längst als einer der wichtigsten deutschsprachigen Krimiautoren etabliert.

Wolfgang Schorlau: „Am zwölften Tag“, KiWi-Verlag, Taschenbuch, 978-3-462-04547-5, 9,99 €.

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