Wolfgang Niedecken im Interview

Wolfgang Niedecken credit Ullrich Maurer

Mit BAP auf Zeitreise: Wolfgang Niedecken im Sounds & Books-Interview zum neuen Live-Album „Zeitreise – Live im Sartory“

Interview und Foto von Ullrich Maurer

Auf eine besondere Art der Zeitreise führen uns Wolfgang Niedecken und seine Band BAP mit ihrem neuen Albumprojekt. Denn auf dem Live-Album-Projekt „Zeitreise – Live im Sartory“ (Review bei Sounds & Books folgt) versammelt finden sich auf 3 CDs bzw. 4 Vinyl-Scheiben insgesamt 31 Songs aus dem klassischen BAP-Repertoire rund um die beiden frühen BAP-Schlüssel-Alben „Für usszeschnigge“ und „Vun drinne noh drusse“. Diese wurden von der Band in der aktuellen Besetzung im Dezember 2023 an vier Abenden in den Kölner Sartory-Sälen (wo für BAP die Karriere Anfang der 80er erst so richtig losging) neu eingespielt und auch neu interpretiert. Es gab dabei eigentlich nur eine Regel: Dass nämlich keiner der gespielten Songs jünger als 40 Jahre sein dürfte.

Auf Tour sind Wolfgang Niedecken und BAP gefühlt ja nun wirklich permanent. Normalerweise wird dann ein bunter Querschnitt aus neuen und alten Songs gespielt – zu denen dann ja auch die Klassiker der Anfangstage gehören. Wie kam es denn jetzt zu diesem Projekt „Zeitreise“? Denn ein rundes Jubiläum steht ja erst in zwei Jahren zum 50-jährigen BAP-Bestehen an. 

Wolfgang – bitte beschreibe doch mal, wie es für Dich zu dem Projekt kam, eine musikalische Zeitreise in die frühen 80er Jahre anzutreten?

Wolfgang Niedecken: Durch die Pandemie-Situation sind ja unser letztes Album „Alles Fließt“ und auch die Tour dazu praktisch um ein Jahr verschoben worden. Das hat uns alle sehr geschmerzt, denn auf dieses „Alles Fließt“-Album sind wir unglaublich stolz. Das ist für uns eines der besten Alben, das wir jemals gemacht haben. Wir hatten dann im Lockdown irgendwann sogar Angst, dass die Stücke schal werden könnten. Aber auf einmal hieß es dann, dass wir wieder spielen dürften. BAP spielen ja in der Regel so +/- 30 Songs bei einem Konzert und da hatte ich mir dann eine Setliste zusammengestellt, auf der 10 Stücke vom neuen Album standen.

Und das kannst Du eigentlich nicht machen. Ich finde das zwar persönlich super, aber wenn Du dann damit auf der Bühne stehst, merkst du, dass irgendwann die Aufmerksamkeit im Publikum nachlässt. Wenn man ein Stück zum ersten Mal hört, kann man es nicht wirklich bewerten. Und man muss auch einfach sehen, dass der Plattenumsatz nicht mehr so ist, wie in den 80ern.

Die Zeiten ändern sich – auch für Wolfgang Niedecken und BAP

Da ist sicherlich etwas dran: Früher war es ja so, dass die Fans die Musik über die Alben schon und auswendig kannten, bevor sie zu den Konzerten gegangen sind – während sie heute – im Zeitalter von Playlists mit einzelnen Titeln – vielleicht sogar nicht mal mitbekommen, dass ein neues Album ihrer Lieblingsband verfügbar ist, wenn diese auf Tour ist.

Wolfgang: Richtig – und deswegen hatte ich damals in der Setlist dann zwischen den 10 neuen Songs möglichst viele Songs aus den frühen 80ern einsortiert, damit die Leute etwas kriegen, was sie kennen. Das waren dann auch Stücke, die wir über 30-40 Jahre nicht mehr gespielt hatten. Was dann passierte, war dass die Leute regelrecht gerührt waren, wenn wir diese Stücke gespielt haben. Ich hatte den Eindruck, dass da ein richtiger Glow über dem Publikum hing. Die Leute haben sich unfassbar gefreut und konnten es gar nicht fassen, dass wir diese Stücke nochmal gespielt haben. Und nach der Show habe ich mich gefragt, wie das denn eigentlich wäre, wenn wir mal eine Tour spielen, wo wir nur die Songs von den Alben „Für usszeschnigge“ und „Vun drinne noh drusse“ spielten – oder solche, die noch älter sind?

40 Jahre sind ein gutes Alter

Auf der Setlist von den Konzerten aus dem Sartory finden sich dann auch Tracks wie das (nicht „eingekölschte“) Dylan-Cover „Hurricane“ das nahtlos in „Stell dir vüür“ vom ersten Album „Rockt andere kölsche Leeder“ übergeht, ganze 4 Stücke vom „Affjetaut“ Album und auch das Troggs-Cover „Wahnsinn“ sowie auch Dylans „Wie ’ne Stein“ – das Wolfgang dann auf dem „Vun drinne noh drusse“-Album doch mal ins Kölsche übertragen hatte, das aber rechnerisch auch älter als 40 Jahre ist. Zu dieser Zeit standen Wolfgang und seine damaligen Mitstreiter ja noch am Anfang ihrer Laufbahn und spielten noch nicht in den Riesen-Hallen, in denen sie heute oft zu Gast sind. Ihre damalige „Basis“ waren die Kölner Sartory Säle.

Die Sartory Säle waren dann vermutlich  der Ort, wo es für euch so richtig los ging mit der Live-Karriere der BAP-Band?

Wolfgang: Ja, am Anfang – so um ’80 rum – war der Sartory-Saal für uns auch noch echt groß, wurde dann mit der Zeit aber immer kleiner, je mehr Leute zu den Konzerten kamen. Bis ’85 haben wir das noch durchgehalten. Ich hatte auch immer die Angst, dass wir die Magie von einem BAP-Auftritt in der viel größeren Sporthalle nicht mehr auf die Bühne bringen könnten. Wir haben uns dann gottseidank 86 getraut in die Sporthalle zu gehen und die Entscheidung war auch richtig – aber im Sartory hat halt alles angefangen und es war dann auch ganz klar, dass wir dieses Album im Sartory aufnehmen würden.  

Dazu muss man noch wissen, dass die Sporthalle – eine inzwischen abgerissene Mehrzweckhalle auf dem Kölner Messegelände – zu der Zeit das Mekka für Musikfans aus dem Großraum Köln war, da dort so ziemlich alle angesagten Bands (inklusive der Rolling Stones) aufspielten, bis 1998 die wesentlich größere Köln-Arena (heute Lanxess-Arena) in Betrieb genommen wurde.

Der Unterschied zwischen gestern und heute

Zwei Dinge zeichnen die neu eingespielten Versionen der alten Tracks insbesondere aus. Das ist zum einen der Umstand, dass die Songs für die inzwischen charakteristische BAP-Bläser umarrangiert wurden und zum anderen, dass die Songs in den neuen Versionen erfrischend spielfreudig und lebendig dargeboten werden – dabei aber nicht modern oder gar hip klingen.

Waren das auch die Sachen, die Dir bei der Neuinterpretation des Materials am Herzen lagen?

Wolfgang: Ja, die Bläser haben wir ja erst dazu genommen, nachdem ich in New Orleans dieses Familienalbum („Reinrassije Stroosseköter“) aufgenommen hatte. Wir haben damals mit ortsansässigen Musikern überlegt, wie so etwas gehen könnte – weil New Orleans halt die Heimat dieser Art von Musik ist. Und danach kam dann eine BAP-Tour und ich wollte einige von diesen Stücken spielen. Da haben wir zunächst überlegt, ob wir die Bläser-Arrangements mit einem Synthesizer faken sollten. Ich hatte aber ja zwei Jahre vorher bei „Sing meinen Song“ die drei Bläser kennengelernt und die schließlich gefragt, ob die mit uns auf diese Tour gehen wollten.

Das hat wunderbar funktioniert. Das war eigentlich gar nicht gedacht, dass das zu einer ständigen Einrichtung werden sollte – aber irgendwie wollte dann keiner mehr drauf verzichten. Für das „Zeitreisen“-Programm war das dann wieder wunderbar geeignet. Es kommt hinzu, dass das alles auch Multiinstrumentalisten sind – wie unsere Anne DeWolff – und wenn Du die dann fragst: ‚Könnt ihr das so und so machen?‘ dann sagen die gleich: ‚Klar, das können wir machen‘. Das ist schon sehr, sehr praktisch.

Worauf habt ihr denn am meisten Wert gelegt, als es darum ging, die Stücke für das Projekt umzuarrangieren?

Wolfgang: Auf jeden Fall ging es nicht darum, sie krampfhaft umzuarrangieren, sondern nach dem Motto ‚von hinten durch die Brust ins Knie‘ mal zu schauen, was zu unseren alten Arrangements passen würde. Es ist nämlich so, dass wenn man versucht, zeitgemäß zu spielen, man Gefahr läuft, die Klischees der Moderne zu benutzen. Viele Alben, die Mitte der 80er aufgenommen wurden, wären viel schöner, wenn die Lynn-Drums nicht überall drauf wären, oder Effekte wie Phaser, die damals jeder benutzte. Beispielsweise Dylans ‚Street Legal‘ – ein wunderbares Album, wenn bloß nicht diese Scheiß-Effekte drauf wären. Oder noch schlimmer ist Neil Youngs „Landing On Water‘ mit seinen Synthie-und Vocooder-Effekten. Das ist ganz hart. Ich habe natürlich alles von Neil Young – aber mit diesem Album kann ich überhaupt nix anfangen.

Von Generation zu Generation

Von den alten Recken aus den Anfangstagen ist ja heute niemand mehr dabei – außer Wolfgang selbst natürlich. Sönke Reich, der aktuelle BAP-Drummer ist ja der „Youngster“ in der Band und erblickte zu Zeit, in der die alten Songs eingespielt wurden gerade erst selbst das Licht der Welt.

Wie hat der sich Sönke Reich denn für das Zeitreisen-Projekt aufgestellt?

Wolfgang: Den lasse ich einfach machen. Der ist so geschmacksfest, dass er überhaupt nichts tun würde, was den Betrieb irgendwie aufhielte. Der hat sich auch sehr gefreut, dass wir dieses Projekt gemacht haben und der war auch der erste, der sich auf meine Rundmail gemeldet hat, wo ich die Idee des Albums erst sehr, sehr spät rausgelassen habe. Er hat mir eine Mail geschickt, in der stand einfach nur „JAAA!“ Ich musste bei dieser Album Idee aber tatsächlich überhaupt keinen zum Jagen tragen. Ich habe auch an keiner Stelle das Gefühl gehabt, dass ich irgendwo Tauziehen musste, was die Auswahl des Programms betrifft – wie das manchmal bei Projekten mit neuen Stücken der Fall sein kann. Das war sehr angenehm.

Interessant zu beobachten ist, wie sich die alten Stücke im Laufe der Zeit – nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch in der Bedeutung und im Ton geändert haben. Den „Anti-Karnevals-Hit“ mit dem Titel „Nit für Kooche“ – in dem Wolfgang damals deutlich machte, dass er für den Kölner Karneval der frühen 80er Jahre nichts übrig hatte und nicht ein Mal dann zu Karneval in Köln verweilen würde, wenn man ihm Kuchen dafür anbieten würde – sieht der heute „karnevalsmilde“ Liedermacher nun deutlich gelassener. Auf der Bühne wird nun sogar eine Einleitung im „Schunkel-Modus“ ins Programm eingebaut.

Wie steht Wolfgang Niedecken denn heutzutage zu „Nit für Kooche“?

Wolfgang: Nun ich habe das Lied – das dann ja auch sehr populär wurde – damals geschrieben, um auszudrücken, dass ich zu der Zeit immer bemüht gewesen bin, mich über Karneval aus Köln zu verdrücken. Wenn wir dann allerdings doch in Köln waren und ich mit meinen damals noch kleinen Söhnen den Zug anschauen wollte, musste ich mir so Sachen anhören wie „Wat willst Du dann he? Do findst dat doch jarnit joot!“. Da musste ich mir meine Existenzberechtigung als Kölner regelrecht erkämpfen – diese Reaktionen waren leider sehr humorlos. Aber es hat sich alles irgendwie geregelt. Ich muss auch sagen, dass ich damals, als ich den Text geschrieben habe, selbst ein wenig intolerant war.

Ich habe da die Jecken mit Begriffen wie ‚Uniformfetischisten‘ angegriffen wo ich heute sagen würde: „Lass sie doch“. Das war schon harter Toback. Aber auch das gehört zu der Zeitreise. Ich finde, dass wir das heute sehr charmant gelöst haben, denn wir haben ja als Teil eins die Schunkelversion und bei Teil zwei wird dann reingeprügelt. Früher haben wir die Schunkelversion nur vom Band eingespielt – im Sartory haben wir sie diesmal mit den Bläsern live gespielt – das hat einen Riesenspaß gemacht. Am Morgen des ersten Konzertes hat mich meine Frau sogar noch überredet, dass wir eine Narrenkappe für den Auftritt kaufen sollten. Da war ich mir noch nicht wirklich sicher, wie ich das abends finden sollte, aber als ich die Narrenkappe aufgesetzt habe, haben die Leute gottseidank frenetisch gejubelt. 

Die Zukunft von Wolfgang Niedecken und BAP heißt „Schau’n mer mal!“

Für jemanden, der schon so lange im Geschäft ist, wie Wolfgang Niedecken, gibt es ja sicherlich andere Prioritäten als für Newcomer und Jungspunde. Kurz nach der Veröffentlichung des Albums gehen BAP erst mal auf die große „Zeitreisen-Tour“. Wird ansonsten aber weiter geplant? Gibt es zum Beispiel denn irgend etwas, was Wolfgang von diesem Projekt als Inspiration für die Zukunft mitnehmen könnte?

Oder gehört Wolfgang Niedecken vielleicht aber auch eher zu den Musikern, die mal so schauen, was gerade kommt?

Wolfgang: Ja eher so. Guck mal – ich bin jetzt 73 und ich will nichts mehr über das nächste Jahr hinaus planen. Beckenbauer hat ja schon gesagt „Schau’n mer mal und dann seh’n mer schon“. Ich habe auch immer Angst, dass ich ins Straucheln gerate, wenn ich mir zu viel vornehme und zu viele Verpflichtungen eingehe. Ich habe mir nämlich schon oft gesagt: „Mist – warum hast Du das zugesagt?“. Ich möchte mir lieber die Möglichkeit geben, vielleicht auch mal etwas kürzer zu treten. Noch bin ich ja komplett im Besitz meiner geistigen Kräfte – aber ich weiß nicht, ob das in zwei, drei Jahren immer noch so ist. Schau’n mer mal….

Das Album „Zeitreise – Live im Sartory“ erscheint am 26.04.24 auf CD, Vinyl und Digital auf dem Label Universal. Im Anschluss daran gehen Wolfgang Niedecken und BAP mit dem Programm des Albums auf Release-Tour.

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