Wilco live in Köln, Hamburg und Stuttgart

Sounds & Books Logo

Wilco auf Deutschlandtour 2012

von Gérard Otremba

Manche Besucher erstarren geradezu vor Ehrfurcht. Es wundert nicht, spielen Wilco doch längst in einer eigenen Liga, deren Klasse einmalig ist. Und doch ist Wilco eine phänomenale Rockband, die mit ihren Rhythmen sofort das Blut erreicht und zum Tanz animiert.

Wilco live im Stuttgarter Theaterhaus

Vielleicht noch nicht im Eröffnungssong des Auftritts im Stuttgarter Theatersaal, „One Sunday Morning“, diesem wunderschönen, ruhig dahinfließenden Folk-Epos von zwölf Minuten. Aber schon der progressive Art-Rock von „Art Of Almost“, mit dem wahnwitzigen Gitarrensolo von Nels Cline, verzückt und versetzt einen in den ersten Rauschzustand. In diesen abgedrehten Rock-Sphären bewegen sich sonst nur Radiohead, doch scheinen Jeff Tweedy (Gesang und Gitarre), John Stirratt (Bass), Glenn Kotche (Drums), Patrick Sansone (Gitarre, Keyboards), Mikael Jorgensen (Keys) und eben Nels Cline vergleichsweise weitaus erdverbundener zu agieren. Das wuchtige „I’ll Might“ rockt atemberaubend vorwärts, während die Gitarrensoli von Jeff Tweedy bei „At Least That’s What You Said“ sich in reinste Poesie verwandeln und wieder in Ekstase versetzen. „Spiders (Kidsmoke)“ wie seit zwei Jahren bekannt, in der verkürzten und semi-elektrischen Version und „Impossible Germany“ mit dem zu Ovationen einladenden Gitarrensolo von Nels Cline. Selbst Mastermind Jeff Tweedy lüpft den Hut und verbeugt sich vor dem Können seines Gitarristen.

Eine Setlist mit Überraschungen

„Born Alone“ kracht ordentlich, das Cover des Tweedy-Side-Projekts Loose Fur, „Laminated Cat“, noch vertrackter als die Wilco-Songs. „Sky Blue Sky“ erhaben schön, „California Stars“ sehnsüchtig und euphorisch, „Handshake Drugs“ einfach genial und enthusiastisch, „Whole Love“, das lange nicht mehr vernommene „What Light“ und „Heavy Metal Drummer“ großer Pop. Der Sprung von Drummer Glenn Kotche auf sein Schlagwerk zu Beginn von „I’m The Man Who Love You“, kündigt den Endspurt an, der mit „Dawned On Me“ vorangetrieben wird, mit „Hummingbird“, einem der schönsten Beatles-Songs der Post-Beatles-Ära seinen Höhepunkt erreicht und mit dem famosen „A Shot In The Arm“ das Ziel erreicht. Zu insgesamt sechs Zugaben-Songs kommen Wilco zurück. Die Dekonstruktion von „Via Chicago“ teilweise mit Lärmkaskaden versetzt, einfach überragend, „Jesus etc.“ zum Mitsingen, ein markantes „Hate It Here“ und völlig ausgelassen der krachende Roots-Rock’n’Roll von „Monday“ und „Outtasite (Outta Mind)“, bevor ein halbnackter Roadie als Frank Zappa-Verschnitt den Schamanen bei „Hoodoo Voodoo“ gibt. Nach knapp über zwei Stunden ist der Zauber dann vorbei, aber er hält lange vor.

Wilco live im Hamburger CCH

Mindestens jedenfalls bis zum nächsten Abend in Hamburg, denn dort geht der Zauber weiter. Erstaunliches geschieht im Saal 2 des Hamburger CCH. Allein durch die Sitzplätze bedingt, ist Ehrfurcht geboten. Doch nachdem „Poor Places“ im ekstatischen Höllenlärm untergeht, hält zwei Tanzverrückte in der ersten Reihe bei „Art Of Almost“ nur ein übereifriger Ordner vom Tanzvergnügen ab, der jedoch unverzüglich von Jeff Tweedy zurechtgewiesen wird, denn niemand dürfe jemand anderen das Stehen verbieten, schließlich sei es doch ein Rock-Konzert. Wer stehen möchte, solle stehen, wer sitzen möge, solle sitzen. Tweedy richtet noch ein herzliches „Asshole“ an den Ordner und dann ist der Bann gebrochen, das Sitzplatzgebot aufgehoben, der Rock’n’Roll obsiegt gegen die deutsche Ordnung. Das sah vor einem Jahr in der Alten Oper zu Frankfurt aus diversen Gründen noch ganz anders aus.

Die veränderte Setlist in Hamburg

Nach „I’ll Might“ folgt mit „Sunken Treasure“ die zweite Veränderung zur Stuttgarter Setlist. Einen ihrer schönsten Songs heben sich Wilco in Deutschland scheinbar immer für das Hamburger Publikum auf, begann doch das Konzert 2010 in der Laeiszhalle eben mit diesem Song. „Spiders“, Impossible Germany“, und „Born Alone“ wie gehabt, bevor das aufwühlende „Side With The Seeds“ und das bedrohlich-dunkle „Radio Cure“ wieder für Abwechslung in der Setlist sorgen. Die folgt dann wiederum nach „Sky Blue Sky“, „Handshake Drugs“ und „Whole Love“, wenn Wilco das knackige „Box Full Of Letters“ vom ersten Album „A.M.“ sowie das jubilierende „I’m Always In Love“ spielen. Mit Heavy Metal Drummer“, „Dawned On Me“, „Hummingbird“ und „A Shot In The Arm“ bekommen auch die Hamburger die Wilco-Klassiker live zu hören. Die ersten drei Zugaben siehe Stuttgart, neu im Zugaben-Block „I’m Walken“ und das abschließende „Man Who Loves You“. Für ein durch und durch sehnsüchtig-klagendes „The Only One“ kommen Wilco noch einmal auf die Bühne und nach 2:10 Stunden hat auch Hamburg sein Konzert des Jahres erlebt.

Wilco live im Kölner E-Werk

Im Kölner E-Werk folgt schließlich das würdige Abschlußkonzert der 14-monatigen Wilco-Welttournee zum letzten Album „The Whole Love“. Der Beginn gleicht dem Stuttgarter Auftritt, etwas überraschend bringen die Chicagoer „Handshake Drugs“ bereits an vierter Stelle, gefolgt von „Spiders“. Und so langsam stellt sich die Frage, welche Version dieses Songs die schönere ist, die gerockte Standardvariante, oder die gefühlvolle semielektrische der letzten Auftritte. Wahrscheinlich auch stimmungsabhängig, in Köln gewinnt die melancholische Seite, der Song ist herzerweichend, tief emotional. Natürlich holt sich Nels Cline seinen wohlverdienten Sonderapplaus für „Germany“ auch in Köln ab. Nach „Born Alone“ und „Laminated Cat“ geht es wie in Hamburg zurück zu den Wurzeln, diesmal warten Wilco mit „Shouldn’t Be Ashamed“ vom Debütalbum auf.

Und auch in Köln eine andere Setlist

„Via Chicago“ direkt im Anschluss und nach „Sky Blue Sky“ brillieren Wilco mit dem laut Jeff Tweedy noch nie in Deutschland gespielten „When You Wake Up Feeling Old“. Noch so ein Beatles-Stück, das die Beatles nie komponiert haben. Und davon gibt es auf dem dazugehörigen Album „Summerteeth“ mehr als genug. Nach der „ganzen Liebe“ steht mit „I Must Be High“ nochmal ein Stück aus dem ersten Album auf dem Programm, bevor der fulminante Abschluss mit „Drummer“, „Man Who Loves You“, „Dawned“, „Hummingbird“ und „A Shot“ folgt. Die Zugaben nochmal spektakulär mit „Ashes Of American Flags“ (ein epochaler Song), dem nur auf einer EP erschienenen „Magazin Called Sunset“ und dem bei den Deutschland-Gigs dieser Tour ebenfalls noch nicht aufgeführten „Don’t Forget The Flowers“. Mit „Hate It Here“, „Walken“ und dem alles beendenden „Outtasite“ verabschieden sich Wilco wieder nach gut über zwei Stunden Spielzeit vom begeisterten Publikum. Und beweisen wieder mal die These: Wilco ist die beste Rock’n’Roll-Band der Welt.

Kommentar schreiben