Wilco: Cruel Country – Albumreview

Wilco by Charles Harris

Wilco schenken uns mit dem zwölften Studio-Album „Cruel Country“ ein echtes Juwel

Drei Jahre nach dem von uns an dieser Stelle rezensierten „Ode To Joy“ melden sich Wilco mit „Cruel Country“ zurück. Das zwölfte Werk der amerikanischen Rockband enthält insgesamt 21 Songs und erscheint als Doppelalbum. Zum ersten Mal seit „Sky Blue Sky“ versammelten sich alle sechs Wilco-Mitglieder in einem Raum ihres Chicagoer Lofts und nahmen die Songs live mit nur wenigen Overdubs auf. „It’s  a really great way to make a record“, sagt Sänger, Texter und Gitarrist Jeff Tweedy über den Aufnahmeprozess. Auf „Cruel Country“ stellen Jeff Tweedy, Nels Cline, John Stirratt, Glenn Kotche, Mikael Jorgensen und Pat Sansone die Countrymusik in den Vordergrund.

Jeff Tweedys zwiespältige Heimatgefühle

Wilco Cruel Country Cover dBpm Records

„Country music that sounds like us to our ears“, führt Tweedy weiter aus und das Ergebnis ist mithin das facettenreichste Country-Album, das man sich nur vorstellen kann. In seinen Texten setzt sich der 54-jährige Wilco-Frontmann mit der Geschichte und dem eigenen Verhältnis zu seinem Heimatland auseinander, das er als „schön und grausam“ empfindet. Oder, wie es im wehmütig, sanft schwingenden Titeltrack heißt: „I love my country like a little boy… I Love my country stupid und cruel“. Seine eigenen, zwiespältigen Heimatgefühle – und wer könnte ihm diese  aktuell nach dem fürchterlichen Schul-Attentat in Texas verübeln – verknüpft er in einer losen narrativen Erzählung der Historie seines Landes bis zur Gegenwart mit den tief verwurzelten, kollektiven Mythen der USA. Tweedy also auf den Spuren von Woody Guthrie, Bob Dylan und Bruce Springsteen.

Einige außergewöhnlich gute Wilco-Songs

Im Prinzip gar nichts Ungewöhnliches im Wilco-Kosmos, gehörte die Country-Musik seit jeher zu ihren Stilmitteln, zu Beginn auf „A.M.“ und „Being There“ ausgeprägter als später bei „The Whole Love“. Und die USA als Thema ist ebenfalls bekannt, man denke nur „Ashes Of American Flags“, einen ihrer besten Songs überhaupt. Nun also auf epische Länge ausgebreitet und es befinden sich auf „Cruel Country“ einige außergewöhnlich gute Wilco-Songs. Das vorab ausgekoppelte „Falling Apart (Right Now)“ mit seinem legeren Country-Swing und das sehnsüchtig-melancholische „Tired Of Taking It Out On You“ wachsen einem mit ihrer, für die Band typischen Catchyness schon nach dem ersten Hördurchgang sofort ans Herz. Auch das an die balladesk-spielerische Seite von „Summerteeth“ erinnernde „All Across The World“ geht schnell in seiner vollen Blüte auf. Eingefleischte Wilco-Fans sollten sich schlicht auf die 21 Songs freuen, alle anderen von der stattlichen Menge nicht abschrecken lassen.

Entdeckungswürdiges

Man kann wahnsinnig viel auf diesem Album im Detail entdecken. Die zarten und verträumten Gitarren im dezenten Singer-Songwriter-Folk von „Ambulance“, die gespenstische Atmosphäre von „The Empty Condor“, die sanften Bläser im wehmütigen „Darkness Is Cheap“. Und das knapp achtminütige, zunächst auf Piano und Gesang reduzierte, im zweiten Teil zu einem bandverstärkten Instrumentalstück aufschwingende „Many Worlds“ entfaltet die Schönheit der Wilco-Musik in all ihrer virtuosen Pracht. Es folgen aber noch das beatleske „Hearts Hard To Find“, das edle „Story To Tell“ und das verträumte „Country Song Upside-down“. Dieses Album ist allein aufgrund seiner Länge von fast 80 Minuten ein Grower, der einen von Mal zu Mal staunen lässt, zu welchen Höhenflügen die eigene aktuelle Lieblingsband auch nach 28 Jahren noch in der Lage ist. Um es auf einen Nenner zu bringen: „Cruel Country“ entpuppt sich als ein echtes Juwel.

„Cruel Country“ von Wilco erscheint digital am 27.05.2022 bei dBpm / ADA / Warner Music, die physischen Tonträger folgen wahrscheinlich im Juli. (Beitragsbild von Charles Harris)           

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