Ein melancholischer, wunderbarer, hochaktueller und neu übersetzter Roman des amerikanischen Schriftstellers Walter Tevis
Seit der Netflix-Erfolgsserie und der Romanübersetzung „Das Damengambit“ wird Walter Tevis wiederentdeckt. Der 1928 geborene und 1984 verstorbene amerikanische Autor war Vorlagengeber für weitere bekannte Filme wie „Haie der Großstadt“, der 1961 mit Paul Newman in der Hauptrolle in den Kinos anlief, der 1986 von Martin Scorsese mit erneut Newman und Tom Cruise gedrehte „Die Farbe des Geldes“, sowie „Der Mann, der vom Himmel fiel“, 1976 mit David Bowie cineastisch in Szene gesetzt. Walter Tevis siedelt seinen 1963 im Original veröffentlichten und nun in einer Neuübersetzung vorliegenden Roman in den Jahren 1985 bis 1990 an und erzählt die Geschichte des Außerirdischen Thomas Newton, der die Menschheit vor der Selbstzerstörung bewahren und die eigene, dezimierte Spezies retten möchte.
Neue Technologien
Newton stammt vom Stern Anthea und fühlt sich dem Menschen intellektuell haushoch überlegen. Sein Ansinnen ist es, in einem Zeitraum von sechs Jahren so viel Geld wie möglich zu verdienen, um ein Raumschiff zu bauen, mit dem er die wenigen überlebenden Bewohner seines durch Kriege und Ressourcen-Verbrauch vor dem Kollaps stehenden Planeten auf die Erde zu holen. Mit in dieser Welt noch nicht bekannten Technologien gelingt ihm der ökonomische Durchbruch sowie der Aufbau einer milliardenschweren Firma. Diese fortschrittlichen Ideen wecken das Interesse von Professor Nathan Bryce, der die neue Fotoentwicklung schnell durchschaut: „,Es muss eine völlig neue Technologie sein … irgendwer hat eine Wissenschaft in den Ruinen der Mayas entdeckt … oder von einem anderen Stern mitgebracht‘“.
Das selbstzerstörerische menschliche Treiben
Mit seiner Faszination für die ungewöhnlichen wissenschaftlichen Methoden nimmt Bryce einen Job in Newtons Firma an und wird bald eine von dessen wenigen Vertrauenspersonen. Newton, äußerlich nicht von einem Menschen zu unterscheiden, aber u.a. so gut wie ohne Schlaf auskommend und von sehr zartem Körperbau, engagiert die meistens angetrunkene und von der Stütze lebende Betty Jo, die ihm bei einem Unfall half, als Haushälterin und verzweifelt im Verlauf der Zeit an den menschlichen Schwächen. Ähnlich wie Betty Jo genehmigt er sich häufiger alkoholische Getränke und verfällt in eine depressive Stimmung. Je länger er sich das selbstzerstörerische menschliche Treiben mitansieht, desto mehr verliert sein idealistisches Vorhaben der Menschheits- und Artgenossenrettung an Bedeutung. Trotz seiner scheinbar ausgeprägten Intelligenz merkt Newton allerdings nicht, dass seine Firma von Beginn an vom amerikanischen Geheimdienst infiltriert worden ist, bis er eines Tages mit CIA und FBI konfrontiert wird.
Das Zukunftsszenario des Walter Tevis aus den 60er-Jahren
Dieser unaufgeregt, aber eindringlich erzählte Roman hält unserer Gesellschaft gnadenlos den Spiegel vor. Umso bemerkenswerter, mit welcher Präzision Walter Tevis die eingetretene Zukunft bereits zu Beginn der 60-Jahre prognostizierte. Tevis analysiert nicht allein das Szenario einer zwischen Krieg und Klimakatastrophe dem Untergang geweihten Zivilisation, sondern skizziert darüber hinaus auf bewegende Art die Einsamkeit des Individuums der postmodernen Gesellschaft. Ein melancholischer, ja, auch trauriger, aber wunderbarer und hochaktueller Roman.
Walter Tevis: „Der Mann, der vom Himmel fiel“, Diogenes, aus dem Amerikanischen übersetzt von pociao und Roberto de Hollanda, Hardcover, 272 Seiten, 978-3-257-07197-9, 23 Euro. (Beitragsbild von Mark Marraccini)
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