„Völlig anders als Madsen“ – Sebastian Madsen im Interview

Sebastian Madsen credit Joris Felix

Ein Sounds & Books-Interview mit Sebastian Madsen, dessen Solo-Album „Ein bisschen Seele“ am 30.09.2022 erscheint

Auf seiner neuen Soloplatte „Ein bisschen Seele“ widmet sich Madsen-Frontmann Sebastian Madsen dem Soul. Ein Interview über musikalische Einflüsse, Bläsersätze, Musikproduktion, die Stadt Berlin und warum dieser Winter hart werden könnte für Kulturschaffende.

Hallo Sebastian, Ihr habt mit Madsen zuletzt punkrockiges Terrain beackert, auf Deinem neuen Soloalbum gibt‘s jetzt Soul zu hören – ein Genre, das Du für Dich neu entdeckt hast?
Sebastian Madsen Ich habe Soul nicht neu entdeckt, aber neu lieben gelernt, insbesondere aufgrund des schlimmen Pandemie-Winters 2021. Diese Musik war in der Zeit für mich ein Hoffnungsträger, hat graue Tage erhellt. Ich habe diese Art Musik einfach gebraucht.

Du hast die Songs für „Ein bisschen Seele“ zunächst einmal ohne konkretere Pläne geschrieben. Dann ist das Projekt immer größer geworden, es sind Bläsersätze und Streicher hinzugekommen.
Sebastian Madsen Bei „Pet Sounds“ von den Beach Boys – für mich immer noch eines der größten Alben – muss es ähnlich gewesen sein. Brian Wilson hatte eine Vision im Kopf, völlig unabhängig von E-Gitarre, Schlagzeug, Bass und Gesang. Ich möchte mich hier natürlich gar nicht mit Brian Wilson vergleichen. Aber mir war klar, dass die Lieder, wie ich sie mir vorstelle, nur funktionieren, wenn jemand coole Arrangements dafür schreibt. Und dass dieser Zuckerguss dann auch aufgenommen wird. Für mich sind die Bläser und Streicher 50 Prozent des Albums. Markus Trockel hat das mit seiner eigenen Handschrift sehr sorgsam und feinfühlig gemacht. So sehr ich Madsen liebe und dankbar dafür bin, dass wir das machen können: Es ist halt eine klassische Rockband.

Eine komplette Vision

War für die Arrangements genügen Platz oder musstest Du dafür an anderer Stelle Platz schaffen?
Sebastian Madsen Wenn man die Bläser und Streicher wegnimmt, dann ist das Gerüst relativ nackt. Basis sind meistens Klavier, Bass, Schlagzeug und Gesang – dazu ein wenig Chor hier und da. Die Antwort auf Deine Frage: Es war ausreichend Platz für Bläser und Streicher vorhanden. Und Markus mag es auch, sich an vorhandenen Chorlinien entlang zu schlängeln, diese auch als Inspiration zu nutzen. Auf „Ein bisschen Seele“ ist im Übrigen die Musik mit dem geringsten Gitarrenanteil, die ich je gemacht habe.

Interessant, dass Du eine komplette Vision im Kopf hattest. Oft ist ja das erste Instrument, mit dem man das Songwriting beginnt, entscheidend, in welche Richtung sich das Lied entwickelt…
Sebastian Madsen Ich finde auch, dass das erste Instrument den Charakter festlegt. Bei „Ich löse mich auf“, einer getragenen Ballade, stand am Anfang das Klavier. Wenn ich Immer nur am Handy nehme, da war das erste Instrument eine funky Gitarre. Das hört man schon.

… „Immer nur am Handy“ erinnert mich ein wenig an die Scissor Sisters.
Sebastian Madsen Ich könnte mir vorstellen, dass die Scissor Sisters ähnliche Einflüsse haben wie ich. Das waren bei mir z. B. Curtis Mayfield und Marvin Gaye. Ich weiß, dass ich in meinem Leben nicht klingen werde wie sie. Was völlig o. k. ist. Auch will ich mich mit diesen Künstlern nicht messen, aber auch nicht verheimlichen, dass sie mich inspiriert haben. Demzufolge ist es nur logisch, dass du eventuell eher an die Scissor Sisters denkst, weil die sich eben auch haben inspirieren lassen und etwas Eigenes gebaut haben. Was Du hörst, ist meine Interpretation von Soul-Musik.

Sebastian Madsen und die 60er-Jahre

Ich muss gestehen – die Kategorie „Soul“ ist für mich immer ein schwer greifbares Genre gewesen.
Sebastian Madsen Mir ging es zunächst darum, der Sache einen Namen zu geben. Soul-Musik steht für mich für 60er-Jahre: Otis Reading, Curtis Mayfield, Marvin Gaye. Vielleicht noch ein wenig für Amy Winehouse. In Deutschland ist die Definition etwas schwieriger, da vermischt sich Soul doch sehr mit Popmusik, in meinem Fall wahrscheinlich auch. Mir war nur klar, dass diese Songs etwas völlig anderes als Madsen sind. Den Begriff Popmusik hätte ich auch als zu langweilig empfunden. Und bei deutscher Popmusik hat man auch gleich Bilder im Kopf, die nicht alle gut sind.

Apropos – das Artwork ist ja auch sehr im 60er-Jahre-Stil gehalten.
Sebastian Madsen Ich hatte eigentlich nur vor, 500 Exemplare auf Vinyl pressen zu lassen. Und dann ist das Projekt gewachsen. Jemand von der Plattenfirma Isbessa, mit dem wir vor zehn Jahren mit Madsen zusammengearbeitet haben, ist auf die Musik aufmerksam geworden. Plötzlich war dann die Grafikerin Maren Behle involviert, mit der ich eng zusammengearbeitet habe. Es hat total Spaß gemacht, das Projekt visuell klar von Madsen zu trennen, auch was das Outfit angeht. Es ging darum, sich etwas zu trauen, etwas anders zu machen als das, was die Leute erwarten, aber auch ich selbst.

Im Gegensatz zu Madsen

Wenn Du sagst: Klar von Madsen zu trennen … Ihr streitet aber nicht darüber, welcher Song auf welche Platte darf?
Sebastian Madsen Nein, als ich angefangen habe, mit meinem Bruder Johannes die Stücke aufzunehmen, da hat keiner gesagt: Das wäre jetzt aber auch ein Madsen-Song. Dafür waren die Lieder auch zu anders. Wir nehmen für Weiterbildungszwecke ohnehin oft Stücke unterschiedlicher Genres auf. Einen Metal- oder HipHop-Song, einen Schlager … da wissen wir bei der Aufnahme bereits, dass das nie veröffentlicht wird. Abgesehen davon genieße ich ein unheimliches Vertrauen meiner Bandkollegen. Ich schreib nun mal alle Songs. Und die Jungs sagen auch, wenn sie etwas nicht so cool finden. Aber meistens sind wir einer Meinung. Der Songwritingprozess ist echt unkompliziert bei uns.

Du und Dein Bruder Johannes haben die Platte selbst produziert. Bedeutet das, dass Ihr als Engineer auch für die technischen Abläufe zuständig wart, oder holt Ihr Euch dafür externe Hilfe?
Sebastian Madsen Keiner von uns hat das gelernt. Aber wir haben natürlich den Engineers über die Schulter geguckt, wenn wir früher mit Madsen im Gaga Studio oder Clouds Hill in Hamburg aufgenommen haben. Im Laufe der Jahre habe ich mit Begeisterung damit angefangen, mir coole Preamps, Kompressoren und Mikros zuzulegen. Wir machen das mit dem Engineering schon selbst. Wie, ist Tagesform. Mal stellen wir drei Mikros vors Schlagzeug, mal zwölf. Und dann schauen wir, dass gut klingt, was in unserer kleinen Regie ankommt. Entscheidend für den Sound des Albums ist aber auch Olaf Opal (Juli, Notwist, Liquido), der es gemixt hat. Die Rough Mixe, die wir gemacht hatten, waren viel zu sauber für 60er-Jahre Soul. Olaf ist einer, der Signale verzerrt, der übertreibt, Dreck reinbringt, er macht sich nicht so einen Kopf, arbeitet sehr aus dem Bauch heraus und mag Extreme.

Wer war denn an den Aufnahmen Instrumenten-technisch beteiligt?
Sebastian Madsen Der Arrangeur hat die Noten für Streicher und Bläser via Midi notiert, die wurden dann extern aufgenommen. Ansonsten habe ich alles gespielt und Johannes hat aufgenommen.

Sebastian Madsen am 07.12. live im Berliner Metropol

Du präsentierst das Album am 7. Dezember live in Berlin – ausgerechnet Berlin, die Stadt, zu der Du ein recht ambivalentes Verhältnis hast?
Sebastian Madsen Das stimmt schon, ich habe mich der Stadt langsam angenähert. Nach dem Abi sind viele meiner Freunde nach Friedrichshain gezogen. Das konnte ich gar nicht verstehen. Dann hatte ich aber relativ schnell eine Freundin in Berlin, mit Madsen waren wir bei Universal als Plattenfirma. Also bin ich auch dorthin gezogen. Der Freundeskreis wuchs. Berlin fand ich immer doof, gleichzeitig liebe ich die Stadt auch. Die Musikerinnen und Musiker für meine Soloband habe ich mir auch in Berlin gesucht, damit ich aus meinen gewohnten Gefilden herauskomme.

Ihr habt auch bereits einmal zusammen live gespielt.
Sebastian Madsen Ja, es ist auch schön, nach 18 Jahren Madsen mal etwas anderes machen zu können. Unser erster Auftritt und der Prozess davor haben total Spaß gemacht. Ich habe mit den Backgroundsängerinnen Lisa und Larissa Gesangslinien ausgearbeitet, einzeln mit den Bläsern gearbeitet, bin zum Pianisten gefahren. Dann haben wir einmal zusammen geprobt und am nächsten Tag war das Konzert. Ich freue mich also richtig auf den 7. Dezember im Metropol und hoffe, dass die Leute Tickets kaufen. Das ist auch mein Appell: Kauft Tickets, es wird ein harter Winter für alle Kulturschaffenden.

Kannst Du Dir vorstellen, die Platte in abgespeckter Version zu spielen?
Sebastian Madsen Die Stücke sind abgespeckt nichts für eine Festivalbühne oder Clubtour. Ich werde mit Sascha aber ein paar Promogigs spielen, um einen Eindruck zu vermitteln, er ein Kinderschlagzeug, ich Gitarre. Zunächst einmal muss ich sehen, wie die Akzeptanz ist. Natürlich kann ich mir kein Orchester leisten, aber mit zehn Leuten lässt sich schon eine große Klangwelt erzeugen. Das geht aber nur, wenn die Platte läuft und die Leute signalisieren, dass sie Tickets kaufen. Mein Ziel ist es nicht Geld zu verdienen, aber ich möchte die Musikerinnen und Musiker schon gerne fair bezahlen.

Instagram & Co.

Wir hatten über „Immer nur am Handy“ gesprochen, das die exzessive Mobilfunknutzung brandmarkt. Gleichzeitig bist Du auf die Vermarktung über die Social-Media-Kanäle auch ein wenig angewiesen. Ein Widerspruch für Dich?
Sebastian Madsen Nein, das macht mir Spaß, ich fand auch Instagram von Anfang an cool. Ich bin sogar bei TikTok, finde das lehrreich und interessant. Aber klar, gerade für junge Leute sind solche Plattformen, auf denen man sich ständig mit vermeintlich übernatürlich schönen Leuten misst, schwierig. Mich selbst als Typ über 40 betrifft das natürlich nicht mehr so. Wenn ich Kinder hätte, würde ich da aber total aufpassen. Und natürlich hat sich das Verhalten der Menschen verändert, immer am Handy, sei es im Auto, sei es beim Fahrradfahren, schon krass, wie wenig die Leute die Realität ertragen. Man rennt ja auch ständig Leute über den Haufen, weil sie nicht auf die Straße gucken.

In Deinen Texten sprichst Du sehr offen über das Thema Liebe. Ist es manchmal auch schwierig, so offen damit umzugehen? Und Max Richard Leßmann hat an den Text mitgeschrieben?
Sebastian Madsen Nein, ich mach Musik immer instinktiv. Und mit Max (Vierkanttretlager) habe ich nicht nur einen meiner besten Freunde, sondern auch einen vertrauten Texter an meiner Seite. Zwischen uns verläuft eine unsichtbare Brücke, er checkt einfach meine Emotionen. In der Zeit des Songwritings hatte ich Liebeskummer, mir ging‘s nicht so gut. Wir haben also viel privat gesprochen und telefoniert und Max hatte zu meinen musikalischen Entwürfen oft innerhalb kürzester Zeit eine Textidee. Wir haben aber auch schon viel für andere Leute geschrieben und sind einfach ein gutes Team. Klar, als die Platte fertig war und es darum ging, auch öffentlich über die Texte zu sprechen, die ja in dem Fall auch von meiner Freundin (Lisa Who) handeln, war es natürlich schon schwieriger. Deswegen, es ist ein schmaler Grat.

Info: Die Videoversion des gesamten Interviews steht auf der Youtube-Seite unseres Autors Jens Krüger bereit. (Beitragsbild von Joris Felix)

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