Das neue Villagers-Album ist fabelhaft, eines der besten von Singer-Songwriter Conor O’Brien. Der Berliner Auftritt des Iren mit einer tollen Band wird dem Meisterwerk mehr als gerecht.
von Werner Herpell (Text) und Gérard Otremba (Fotos)
Es dauert nur wenige Konzertminuten, bis zum dritten Song „Pieces“, und Conor O’Brien ist „on fire“. Der Mastermind und Sänger der Villagers springt von einem Bein aufs andere, drischt seine kleine abgeschabte Akustikgitarre, heult einen imaginären Mond an: „I’ve been in pieces/Pieces, pieces/Owooh, owooh, owooh, owooh/Owooh, owooh, owooh, owooh…“ Sie fasziniert und sie lässt erschaudern, diese werwolfmäßige Verwandlung eines eigentlich so stillen Menschen in einen Schakal, die später, in der finalen Zugabe „Becoming A Jackal“, abgeschlossen sein wird.
Conor O’Brien: Wild und selbstbewusst
Nicht wenige der rund 700 Besucher des Villagers-Auftritts in der Berliner Passionskirche am 01.06.2024 reiben sich die Augen: Ist der Mann, der da nach dem ekstatischen „Pieces“ aus blassblauen Augen wild und selbstbewusst ins Publikum blitzt, wirklich Conor O’Brien? Dieser schmächtige Sänger, der mit dem jüngsten Villagers-Album „That Golden Time“ einige seiner filigransten Lieder abgeliefert hat? Ja, hier ist tatsächlich eine Verwandlung zu sehen – vom schüchternen Folkpop-Barden früherer Tourneen zu einem kraftstrotzendem Performer.
Das gilt auch für den Sound, der an diesem Abend am Kreuzberger Marheinekeplatz so groß und wuchtig daher kommt wie noch nie bei einem Gig des irischen Bandprojekts (und dieser Schreiber hat schon etliche davon gesehen). Zwei Musiker an den Keyboards, einer davon zusätzlich mit Klarinette, ein Schlagzeuger und ein Bassmann, alle hochkonzentriert und hochkompetent – im Mittelpunkt Conor O’Brien, der die im Bühnenhintergrund stehende Edelgitarre konsequent ignoriert und stattdessen sein vielleicht noch aus Jugendzeiten stammendes Holz-Schätzchen malträtiert: Das Quinettt errichtet bei den insgesamt 18 Stücken eine gewaltige „Wall of Sound“, die den auf Platte schon beeindruckenden Kompositionen eine zusätzliche Dimension hinzufügt.
Die Villagers – live eine echte Band
Es ist also eine echte Band, die hier in Berlin spielt – und nicht nur ein charismatischer Frontmann mit ein paar Mietmusikern. Dabei verliefen die Aufnahmen zu „That Golden Time“ anders. Er habe „alles eingespielt, bis kurz vor Schluss“, erzählte O’Brien (inzwischen 41 Jahre alt, die man dem weiterhin jungenhaften Sänger aber nicht ansieht) im Interview von Sounds & Books. „Erst dann habe ich Geigen, Bratsche, Cello, eine Sopranistin, einen Bouzouki-Spieler und einen Pedal-Steel-Gitarristen dazugeholt. Alle Instrumente, die ich nicht selbst spielen konnte, kamen erst ganz am Ende des Prozesses hinzu.“
Ein komplexes Studio-Puzzle demnach, das im Konzert mit acht von zehn „That Golden Time“-Stücken deutlich hinzu gewinnt (falls das bei einer derart perfekten Platte überhaupt noch möglich ist). O’Brien sagte in dem Interview auch, er empfinde beim neuen Album „eine Verbindung zu den Anfängen der Villagers, zum Album ‚Becoming A Jackal‘. Es hat etwas mit dem Versuch zu tun, unter die Oberfläche der Dinge zu gelangen.“
Vier „Schakal“-Songs in der Setlist
Folgerichtig ist das fantastische Debüt von 2010 mit vier Tracks – darunter das irrwitzige „Pieces“ und der Titelsong – in der Berliner Setlist am stärksten vertreten. Ähnlich war es zwei Tage zuvor in der Hamburger Christianskirche, bei einem ebenso mitreißenden wie berührenden Gig (Sounds & Books berichtete) . Die übrigen vier Villagers-Platten streift der Ire bei dieser Tournee eher sporadisch, dann allerdings mit Schlüsselsongs wie „Courage“, „So Simpatico“, „A Trick Of The Light“ oder „Nothing Arrived“.
Conor O’Brien ist mit „That Golden Time“ wohl auf dem Gipfel seines Könnens angelangt. Allein für das Doppelpack „No Drama“ und „Behind That Curtain“ gegen Ende des sechsten Villagers-Werks, mit all diesen Anklängen an Ennio Morricones Filmmusik, an traurige Torch Songs und feinen Jazz, würde mancher Kollege einen Mord begehen. Wie O’Brien diese komplexen Lieder nun live so glühend intensiv und selbstbewusst inszeniert, macht sie nur noch größer und erstaunlicher.
Villagers und Hamish Hawk: Konzert des Jahres?
Der Berliner Konzertabend in eindrucksvoller Kirchenkulisse – eine Art Gesamtkunstwerk. Denn auch der Villagers-Support Hamish Hawk begeistert. Seine auf Platte oft recht opulenten Lieder, gesungen mit warmem Bariton irgendwo zwischen Morrissey und Jarvis Cocker, reduziert der sympathische Schotte live auf melancholische Balladen zur Akustikgitarre. Hawk spricht mehrfach Deutsch mit dem Publikum, weil er die Sprache irgendwann mal studiert hat. Einer seiner Songs, benannt nach der Londoner Folk-Sängerin Bridget St. John, spiegelt diese Lebensstationen: „In Berlin, on a rooftop/In Lansing, in a bookshop/In London, on a long walk in Angel/In Dresden, in a big square…“ Ein starker Eindruck, den der Edinburgher mit seinem nächsten Album „A Firmer Hand“ (VÖ 16.08.2024) untermauern dürfte.
Vielleicht ist es noch etwas zu früh, die aktuelle Villagers-Tournee als tollstes Konzert-Event des Jahres 2024 zu bezeichnen. Andererseits: Es waren so magische, aufwühlende Auftritte in den beiden Kirchen von Hamburg und Berlin – was soll da jetzt noch Besseres kommen?



















