Victor Jestin: Hitze – Roman

Victor Jestin credit Kein & Aber Bild Pascal Ito

Hitze“ beginnt und das Frieren setzt ein: So in etwa fühlt es sich an, das Lesen von Victor Jestins gleichnamigen Roman.

Hallo und herzlich willkommen. Augenscheinlich sind Sie an einer Rezension zu Victor Jestins Debütroman „Hitze“ interessiert? Sei es Zufall, Vorsatz oder eine bunte Mischung aus beidem, die Sie bei Ihrer Recherche auf diese Seite gelangen ließ: Die Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen, ist und bleibt groß. Eventuell besteht ja nicht nur an „Hitze“ Interesse, sondern auch am Autor? Falls nicht, einfach die nächsten Zeilen bis zur Zwischenüberschrift überspringen. Das ist schnell bewerkstelligt, es sind nicht viele. Nur diese hier:
1994 geboren, Kindheit in Nantes verbracht, Studium am Conservatoire européen d’écriture audiovisuelle in Paris, bis heute in der Metropole lebend. Gemeinsam mit Regisseur Thomas Petit zwei Filmdrehbücher geschrieben, die zu recherchieren sich als ebenso schwierig herausstellt, wie weitere biografische Angaben zu Victor Jestin. Wo das Internet doch sonst so, oftmals auch zu großzügig informiert, weiß es hier gerade noch zu verkünden, dass er mit „La Chaleau“, wie „Hitze“ im Original heißt, für den Prix Médicis nominiert war und mit dem Prix Femina des lycéens 2019 ausgezeichnet wurde. (Anm. d. Red.: Keine Verwechslung, auch für letzteren war er natürlich vorab nominiert.)
Das war’s. Adieu biografische Angaben, bonjour Zwischenüberschrift:

So knapp der Titel, so kurz (und gut) das Buch

Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von gerade mal ein paarVictor Jestin Hitze Cover Kein & Aber Stunden zwischen spätem Freitagabend und uhrzeitüblichem Sonntagvormittag. Der Freitag ist, so erfährt man, der letzte im August und der vorletzte Tag für den 17-jährigen Léonard und dessen Familie auf dem Campingplatz, wo sie, wie so viele andere, ihren Sommerurlaub verbrachten. Zwei Wochen liegen hinter ihnen. Im Gegensatz zu anderen campierenden Jugendlichen, kann Léonard die Abreise kaum erwarten. Er hat es versucht mit dieser Feierwut; hat sämtliche Partys besucht, sich bemüht. Alles, was sich einstellte und das recht schnell, war die Erkenntnis, dass es nicht seins ist, das Gefeiere; dass es ihm nichts gibt, und wenn es überhaupt etwas bringt, dann allenfalls ihn um den gewünschten Schlaf. So auch am handlungseinsetzenden späten Freitagabend, an dem Léonard, von den Feiergeräuschen der anderen wachgehalten, noch einmal aufsteht und spazierengeht. Und: einem Jungen reglos beim Suizid zusieht.

Hitze: Beginnend mit dem Schlimmsten

Damit beginnt „Hitze“. Damit, dass Léonard den gleichaltrigen Oscar beobachtet, wie dieser von den Seilen einer Schaukel, die er sich selbst um den Hals gelegt hat, erdrosselt wird. Als er auf ihn trifft, lebt Oscar noch und scheint, so wie er seinen Beobachter fixiert, so, wie er, den Mund tonlos öffnet, dies entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben auch weiterhin zu wollen. Das zumindest vermutet Léonard – unternimmt aber nichts. Bleibt einfach stehen. Rührt sich nicht. Sieht Oscar beim Sterben zu und lässt dann, getrieben vom Gedanken, ihn umgebracht zu haben, dessen Leiche verschwinden. Auf gerade einmal sieben Seiten verdichtet der Autor diesen schwer zu schluckenden Plotkloß. Was bleiben, sind knapp 150 Seiten bis Abreise. eineinhalb Tage, die Léonard durchtaumelt: Mal vom Ereignis der Nacht benommen, mal von den schamlosen Spielchen der verführerischen Luce, ganzzeitig von der drückenden Augusthitze.

Leben mit eines Anderen Tod

Victor Jestin erzählt von den Stunden vor und nach der Tragödie. Davon, wie sich in die von Schuldgefühlen, Schweigen, Angst, Trauma und Lügen dominierte Realität auch immer wieder die sonst pubertätsübliche mischt: Freundschaft. Liebe und Artverwandtes. Sturm und Drang. Selbstzweifel im ständigen Kampf mit Selbstüberschätzung. Sowas. Alles könnte gut oder wenigstens normal nicht so gut sein.  Ist es aber nicht. Denn ein Junge ist tot und nur ein anderer weiß davon.
Kein Wort zu viel, keines zu wenig. Victor Jestin legt einen in der Sprache klaren, im Setting reduzierten Debütroman vor, den Frédéric Beigbeder als einen „glühenden“ beschrieb, bei dem man sich „an jeder Seite die Finger verbrennt“.  „Hitze“: Ein Wochenende. Ein Campingplatz. Eine Tragödie. Eine, die ganz sicher auch im deutschsprachigen Raum ihr Publikum finden und ebenso verstören wie begeistern wird. So, wie in Frankreich bereits geschehen.

Victor Jestin: „Hitze“, Kein & Aber, aus dem Französischen von Sina de Malafosse, Hardcover, 160 Seiten, ISBN: 978-3-0369-5828-6, 20 € (Beitragsbild: Credit Kein & Aber, Bild Pascal Ito)

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