Van Morrisons Glanzstück mit Bonus Tracks
von Gérard Otremba
Van Morrisons Meisterwerk Astral Weeks war sogar für das musikalisch so hervorragende Jahr 1968 außergewöhnlich. Die Beatles brachten mit dem White Album das facettenreichste Album ihrer Karriere auf den Markt, die Rolling Stones veröffentlichten mit Beggars Banquet ein infernalisches Statement und die Byrds brillierten mit Sweetheart Of The Rodeo. Im November 1968 erschien mit Astral Weeks Morrisons eigentliches Solo-Debütalbum, war doch das zuvor veröffentlichte Blowin‘ Your Mind! nichts weiter als eine vom Meister selbst so nicht geplante und ohne seine Zustimmung hingeworfene Songansammlung, die mit „Brown Eyed Girl“ immerhin so etwas wie einen Hit abwarf. Doch für den ehemaligen Sänger von Them war längst eine neue Zeitrechnung angebrochen, Soul, Blues, R&B, Pop und Rock vorerst passé.
Während drei Aufnahmetagen spielte Van Morrison zusammen mit Gitarrist Jay Berliner, Bassist Richard Davis, Flötist und Saxophonist John Payne und Percussionist Warren Smith Jr. eine transzendentale Mischung aus Folk und Jazz ein, die ihresgleichen sucht. In den luftigen, innigen und impressionistischen Arrangements entfaltet Van Morrisons Stimme eine durchdringende Kraft, präzise und ausdrucksstark, zwischen melancholischer Träumerei („Astral Weeks“) und exzessiver Theatralik („Beside You“, in „Ballerina“ beides in einem Song) changierend. In der Musik auf Astral Weeks schwingt etwas Flirrendes und Fließendes mit, voller andächtiger und erhabener Momente, lediglich durch die mit fanfarenartigen Bläsern ausgestattete Up-Tempo-Nummer „The Way Young Lovers Do“ rhythmisch unterbrochen. Den Höhepunkt dieses überragenden Albums bildet das neuneinhalb Minuten lange „Madame George“. Und es ist letztendlich völlig egal, wer denn nun diese mysteriöse Madame ist (die ursprünglich „Madame Joy“ hieß), ob nun Transvestit oder Puffmutter, die Interpretationen sind da mannigfaltig, die wehmütige Stimmung dieses stillen Abschiedssongs geht auch nach dem fünfhundertsten Durchlauf mit Vehemenz unter die Haut.
Neben Morrisons grandiosen Vocals machen herzzerreißend traurige Violinen- und Flötentöne diese glorreiche Komposition unvergessen. Noch ruhiger und einfühlsamer ist die um eine Minute kürzere, auf Vibraphon und Gitarre betonte Alternative-Version, eine von vier Zugaben auf der nun vorliegenden Neu-Fassung (unveröffentlichte Aufnahmen von „Beside You“, „Ballerina“ und „Slim Slow Slider“, beide in einer längeren Version, komplettieren die Ausgabe). Da hat man nun plötzlich die Qual der Wahl und weiß gar nicht, welche Variante schöner ist. Doch für welche man sich auch immer entscheidet, sie ist so edel und filigran wie alle Stücke auf Astral Weeks, ein Album, das in jeden Plattenschrank gehört und in jede Top-Ten-Liste der besten Rock-Pop-Alben aller Zeiten.
His Band And The Street Choir
Mit seinem 1970 veröffentlichten Nachfolger Moondance zeigte Van Morrison die Zeichen für die Zukunft auf. Sein Konglomerat aus Soul, Blues, R&B, Jazz, Folk und Pop setzte Maßstäbe und hatte im Gegensatz zu Astral Weeks kommerziellen Erfolg. Aber das Belfaster Genie brachte noch im selben Jahr mit His Band And The Street Choir ein weiteres, substantielles und pulsierendes Soul-Folk-Rock-Album heraus. Der vorwärtspreschende Opener „Domino“ schaffte es sogar in die Top-Ten-Single-Charts der USA. Nach den zwei Meisterwerken Astral Weeks und Moondance war es naturgemäß schwer, jene Vollkommenheit nochmal auf Vinyl zu bannen. Die Intensität der beiden Großtaten ist Van Morrison denn auch etwas abhandengekommen. Doch brillierte er auch auf His Band And The Street Choir mit einigen ganz wunderbaren Songs, wie dem zauberhaften Folk von „Crazy Face“ (samt querschlagenden Saxophonsolo), dem Piano-R&B in „Give Me A Kiss“ oder mit fiebrigen Bläsersätzen in den Soul-Stücken „I’ve Been Working“ (James Brown muss hier einfach neidisch geworden sein) und „Call Me Up In Dreamland“, letzteres, ähnlich wie die balladesken „If I Ever Needed Someone“ und „Street Choir“, mit inbrünstigem Gospelchor aufwartend. Für die Hardcore-Van-Morrison-Fans hält die Re-Issue-Edition noch bisher nicht veröffentlichte, alternative Versionen von „Call Me Up In Dreamland“, „Give Me A Kiss“, Gypsy Queen“, „I’ve Been Working“ und „I’ll Be Your Lover, Too“ bereit. Den in dieser Zeit festgelegten hohen musikalischen Standard hielt Van Morrison in den folgenden Jahren mühelos bis Mitte der 70er Jahre, bevor erst mit A Period Of Transition ein Einbruch zu verzeichnen war.
„Astral Weeks“ und „His Band And The Street Choir“ Re-Issue-Editionen sind am 30.10.2015 bei Warner Music erschienen.
Nein, nein, Gérard, meine ich eher ganz allgemein und fasse mich da im Zweifel auch an die eigene Nase…
Viele Grüße,
Gerhard
Das hatte ich durchaus auch so verstanden. Meisterwerke sind ja auch was Großatiges. Viele Grüße, Gérard
Absolut! Meisterwerke eben… ;-)))
Viele Grüße,
Gerhard
Man schmeißt mit Superlativen wie „Meilenstein“ oder „Jahrhundertalbum“ tendenziell ja gern mal etwas zu oft durch die Gegend, aber wenn’s wo passt, ohne wenn und aber, dann bei ‚Astral Weeks‘, keine Frage.
‚His Band And The Street Choir‘ ist auch eine schöne VM-Scheibe, heutzutage wäre man froh, wenn er sowas aktuell noch hinkriegen würde.
Viele Grüße,
Gerhard
Volle Zustimmung zu beiden Aussagen. Ich lobe ja gerne und oft, hoffe aber, das Wort „Meisterwerk“ nicht inflationär zu benutzen. Viele Grüße, Gérard