Trümmer-Sänger Paul Pötsch im Interview

Paul Pötsch findet mit Trümmer die Euphorie

Aufgezeichnet von Gérard Otremba (Beitragsfoto: Christoph Voy)

Seine Band Trümmer gehört zu den wichtigsten deutschen Newcomerbands des Jahres 2014. Gemeinsam mit Bassist Tammo Kasper und Schlagzeuger Max Fenski nahm Sänger, Gitarrist und Texter Paul Pötsch ein explosives, selbstbetiteltes Indie-Rock-Debütalbum auf, das sogar in die Album-Charts einstieg und von Pop-Polit zum Album des Jahres ausgezeichnet wurde. Die Singles „Wo ist die Euphorie?“ und „Scheinbar“ vermitteln einen guten Eindruck vom legeren und eindringlichen Trümmer-Stil, Rock’n’Roll, der Tocotronic mit Ton Steine Scherben verbindet und den Punk im Herzen trägt. Über das Jahr 2014, über Einflüsse und Ausblicke unterhielt ich mich mit Paul Pötsch.

 

Paul, Du hast mit Deiner Band Trümmer den Preis der Deutschen Schallplattenkritik und den Hamburger Musikpreis HANS in der Kategorie Nachwuchs des Jahres gewonnen. Was bedeuten Dir die Preise?

Der Preis der Deutschen Schallplattenkritik ist ein sehr angesehener Preis, eine Auszeichnung, die man guten Gewissens annehmen kann; und natürlich eine Wertschätzung unserer Platte. Die haben sich auch inhaltlich mit uns auseinander gesetzt und sind nicht nur auf irgendeinen Hype aufgesprungen. Das fand ich sehr gut. Und ja, der HANS ist halt der HANS mit all seinen Für und Widers.

 

Das selbstbetitelte Trümmer-Debütalbum hat ein sehr positives Echo nach sich gezogen und kletterte in die Top-100-Charts. Warst Du sehr vom Erfolg überrascht?

Ich bin extrem überrascht. Wir haben uns hier zu Beginn in meiner Wohnung getroffen und einfach Quatsch gemacht. Es gab keine beispielsweise keine wirklichen Ambitionen aufzutreten. Ich habe damals noch Schlagzeug gespielt, Henning Mues, der jetzt das Management macht, hat gesungen. Die Band ist nicht am Reißbrett, sondern unter Freunden entstanden, die Lust darauf hatten, ihrem ohnehin etwas weirden Alltag noch mehr Weirdness zu verleihen. Wir haben dann zum Glück Max Fenski kennen gelernt, der Schlagzeug spielte und ich konnte dann an die Gitarre wechseln. Er und Tammo haben mich vor das Mikro geschubst und dann ist das alles sehr organisch und langsam gewachsen. Irgendwann hatten wir zwei, drei Songs drauf und das Molotow fragte an, ob wir Lust hätten, mal dort zu spielen. Darauf folgte ein zweites Konzert und ein drittes, dann ein viertes in Berlin und plötzlich war mir bewusst, krass, wow, ich hab eine Band, ich bin Sänger einer Band! Und dann läuft die Platte auch noch gut und kommt in die Charts, da hätte ich im Traum nicht daran gedacht.

 

Mit welchen Worten würdest Du das Jahr 2014 für Dich beschreiben?

Extrem zwiespältig. Auf der einen Seite bin ich die ganze Zeit wahnsinnig wütend, sauer, auf Hamburg und so vieles, was hier politisch schief gelaufen ist, über die Gefahrengebiete, die Nichteingliederung der Lampedusa-Gruppe, Abriss der Esso-Häuser und eine zunehmende Walt-Disneyisierung des Kiezes, usw…. Ich frage mich dauernd, was hat das noch mit meinem Leben zu tun, was hier stattfindet? Das is ja auch ein Thema der Platte. Man fühlt sich fremd in der dieser Stadt, und muss sich politisieren, damit dieser Ort zu dem Ort wird, den man gerne hätte.

Andererseits war da natürlich die Veröffentlichung unseres Albums, was mein ganzes Leben komplett verändert hat.

 

Du hattest mit Trümmer unlängst eine erste Deutschland-Tour mit einigen ausverkauften Konzerten absolviert. Habt ihr die Euphorie gefunden?

Haha, Ja, auf jeden Fall. Man kommt auf Tour ziemlich schnell in eine Zwischenwelt, man spürt die Freiheit auf der Bühne und wird immer lässiger, enthemmter, man probiert mehr aus. In Bayreuth zum Beispiel haben wir mit der befreundeten Band Lafote zusammen noch zwei Stunden länger gespielt, einfach weiter Musik gemacht, haben gecovert, die Leute sind auf die Bühne gekommen, das finde ich ja mit das Geilste, wenn wir solche Ausnahmesituationen erschaffen, das haben wir ein paar Mal geschafft, dass es so angenehm eskaliert. Insofern haben wir die Euphorie gefunden, auch dank der vielen Leute, die auf die Konzerte kamen. Wir haben ein tolles Publikum gehabt. Die Leute haben mitgesungen, haben getanzt, sind ausgeflippt. und das Allerschönste: wir holen mittlerweile ganz viele unterschiedliche Menschen auf die Konzerte. Das finde ich richtig gut.

 

Ihr werdet gerne in die Richtung der sogenannten Hamburger Schule gesteckt. Schmeichelt es euch, oder ist es ein Bürde mit Bands wie Tocotronic, Blumfeld oder Die Sterne verglichen zu werden?

Ich denke, abseits des Begriffs „Hamburger Schule“ hat ebenjene nie wirklich existiert. Das ist von Journalisten erfunden worden, um ein Phänomen einzuordnen, um Dinge zu benennen. Aber die Musiker und Musikerinnen haben sich ja schon in den 90ern davon distanziert. Den Zusammenhalt und ganz engen Austausch, den es damals gab, den gibt es ja in der Form sowieso nicht mehr, den müssen wir wieder neu aufbauen. Es ist natürlich als Kompliment gemeint, wenn man uns da einordnet, denn was man damit meint, ist halbwegs intelligente deutsche Gitarren-Musik und das machen wir offensichtlich auch, aber mich ärgert es eher, es ist mir eine zu oberflächliche Betrachtung. Ich habe damit nichts zu tun, wir leben in einer anderen Zeit unter anderen Vorraussetzungen und deswegen möchte ich nicht, dass man es so nennt. Für mich ist Trümmer schlicht eine Rock’n’Roll-Band.

 

Siehst Du euch trotzdem in einer bestimmten Pop-Tradition?

Ich glaube, das große Stichwort ist Punk, auf eine Art. Aber nicht im Sinne von „oi, oi, oi, Deutschpunk“, sondern im Sinne von Patti Smith, Richard Hell, Velvet Underground, die New Yorker Punkszene und was danach in England kam, The Clash, die Buzzcocks, Joy Division, das ist die Welt, in der ich mich wohlfühle. Und auf deutscher Seite in gewisser Weise schon Bands wie Tocotronic, die Goldenen Zitronen…. Ihr Umgang mit Sprache, immer auf der Suche sein nach neuen Möglichkeiten, mit Sprache umzugehen hat mich total inspiriert.

 

Würdest Du Dich als einen politischen Rockmusiker bezeichnen, zum Beispiel im Sinne von Joe Strummer?

Ja klar, wir sind politisch denkende und handelnde Menschen, deswegen ist unsere Musik auch politisch. Aber nicht auf so eine Art wie Agit-Pop, sondern es soll viel emotionaler sein, zugänglicher und griffiger. Nicht so von oben herab. Was mich häufig an Leuten mit politischen Texten stört, ist, dass man so tut, als wüsste man alles. Was ich versuche, ist was anderes, ich versuche offen zu legen, dass ich auch nichts besser weiß, aber ich fühle intuitiv, das und das und das gefällt mir nicht, es läuft schlecht und es ist nicht so, wie ich es mir eigentlich wünsche und dummerweise stecke ich selber knietief in der Scheiße drin und all das, was ich anklage, bin ich auch selbst. Vielleicht ist unsere Musik auf eine Art auch romantisch und hedonistisch, eben um Emotionen, nicht nur um ausschließlich Inhalte. Und The Clash ist sowieso die heimliche Vorbildband von Trümmer.

 

Siehst Du Dich als Sprachrohr einer neuen, unzufriedenen Jugendbewegung?

Es ist zu früh, um die Frage zu beantworten. Ich bin als Musiker, Texter und Mensch total auf der Suche nach einer eigenen Sprache. Ich mach einfach nur das, was sich für mich gerade richtig anfühlt…. Im Endeffekt habe ich mit der Platte die letzten zwei, drei Jahre meines Denkens offengelegt. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob ich etwas ausspreche, das tausend andere auch denken. Ich bin nur von mir ausgegangen, habe dabei aber versucht, nicht nur um mich zu kreisen.

 

In Deinen Texten ist eine gesunde Portion Zorn zu finden. Kannst Du Gründe benennen?

Ja, Unzufriedenheit ist schon das große Stichwort. Ich habe in Berlin und München gelebt, jetzt Hamburg und es ist überall dasselbe. Eine Art enttäuschte Hoffnung. Ich bin in einem kleinen Kaff in Brandenburg geboren und wollte immer in die Großstadt, ich dachte immer, in der Stadt ist man freier, und jetzt bin ich in der Stadt und alles, was ich gerne mag, wird vor meinen Augen kaputtgehauen und abgerissen und ich muss quasi ums kulturelle Überleben kämpfen. Das war ein extremer Moment der Desillusionierung. Aber gleichzeitig versuche ich die Wut umzudrehen, und sage, okay, dann muss ich das so machen, wie ich es gerne hätte. So ist die Platte auch gemeint, extrem positiv.

 

Dazu benutzt Du sehr griffige Texte…

Ja, die frühen Texte waren eher schwer verständlich, verklausuliert, wie „In all diesen Nächten“, wo ich Textzeilen aus dem Manifest der Somnatisten, einer Künstlergruppe aus den 30ern, zitiere. Ich merkte aber schnell, dass es spannend sein kann, in Songtexten tatsächlich Position zu beziehen. Und so wurden die Texte immer weiter eingedampft und auf das Nötigste reduziert. Ich wollte mich nicht hinter der Sprache verstecken, sondern offen legen.

 

Hatten Rio Reiser und die Ton Steine Scherben, die Slogans wie „Keine Macht für Niemand“ und „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ prägten, Einfluss auf die Lyrics?

Total. Wir haben während der Zeit der Plattenaufnahmen viel Ton Steine Scherben gehört und waren krass geflasht. Man kennt die Songs ja alle, aber als wir selbst dabei waren, Songs aufzunehmen, und dann Rio Reiser zu sehen, wie er performt und wie er singt – das war schon ein großer Einfluss, ein Neuentdecken dieser Band.

 

Wie war euer Auftritt als Support von den Editors im Hamburger Stadtpark?

Das war cool. Die Editors haben uns ja eingeladen, die haben sich ernsthaft unsere Platte gehört und fanden sie gut. Ich finde Support sowieso immer gut, da hat man nichts zu verlieren. Und der Stadtpark ist eine richtig schöne Location für Hamburg, sofern das Wetter mitspielt.

 

Welche Konzerte hast Du zuletzt besucht?

Die Libertines habe ich in Berlin gesehen, eine meiner absoluten Lieblingsbands, ich bin krasser Peter Doherty-Fan. Die haben zwei Stunden gespielt und waren kein bisschen lost, sondern total da. Das zweite richtig gute Konzert zuletzt war von der Band Oracles, alter Schwede, das hat mich echt umgehauen.

 

Wie sehen die Pläne für 2015 aus?

Erst mal kurz verschnaufen, dann gehen wir nach Belgien für ein paar Shows, dann touren wir zwei Wochen noch mal durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Im März gehen wir für zehn Tage im Auftrag des Goethe-Instituts nach Frankreich, im Mai wird es wohl noch eine Tour geben, und im Sommer natürlich die Festivals!

Weitere Informationen über Trümmer gibt es online unter https://www.facebook.com/truemmer.band

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