Tom Morello: The Atlas Underground Fire

Eddie Vedder Tom Morello Bruce Springsteen by Travis Shinn

„The Atlas Underground Fire“ von Tom Morello nervt und langweilt streckenweise musikalisch, überzeugt zum Teil jedoch sehr

Der Crossover der späten 80er- bis frühen 90er-Jahre – also der Stilmix aus harten, eher als „weiß“ wahrgenommenen, rockigen Gitarrenriffs und den als „schwarz“ verorteten Rhythmen sowie Ausdrucksformen des Funk, Soul und HipHop – hinterließ in der Geschichte der populären Musik nach einigen innovativen wie bahnbrechenden Alben sowie Auftritten von Formationen wie Rage Against The Machine jede Menge Nachahmer wie Verwässerer, so dass das Genre irgendwann einvernehmlich zu Grabe getragen wurde. Im Einzelfall ist das schade, in der Gesamtentwicklung jedoch durchaus nachvollziehbar (New Metal-Fans mögen das anders sehen).

Damals, 1992 in Frankfurt

Rage Against The Machine waren dabei der Einzelfall schlechthin. Nicht nur hatten die ersten Alben des Quartetts eine starke gesellschaftliche Sprengkraft –  auch musikalisch toppten und schlugen sie in ihrem Genre und darüber hinaus so ziemlich alle. Der Autor dieser Zeilen schwärmt noch heute vom 19.10.1992, als die damals in unseren Breiten völlig unbekannte Band als unangekündigter Special Guest der live alles andere als schwach agierenden Suicidal Tendencies in Frankfurt nur noch Trümmer hinterließ.

Der politisch engagierte Tom Morello

RATM gab es nicht lange, was u.a. am politischen Aktivismus des Sängers Zack De La Rocha lag, der ihm wichtiger war als dauerhaft Feierwütige zu bespaßen, die seine Texte sowieso nicht kapierten. Auch deren Gitarrist Tom Morello ist sehr engagiert und legte sich konstant mit der amerikanischen Obrigkeit an und vernetzte nebenbei Musiker, Fans sowie Aktivisten bei der Initiative „Axis Of Justice“. Darüber hinaus fand er jedoch ebenso Zeit um mit den unterschiedlichsten Menschen aus den diversesten Genres Musik zu machen – u.a. ersetzte er zeitweise Steve Van Zandt in Springsteens E-Street-Band und tourte mit den Rap-Ikonen Chuck D (Public Enemy) sowie B-Real (Cypress Hill). Sein Adressbuch ist voll. Warum also nicht mit einem Teil seiner Bubble ein Album aufnehmen, zumal eh gerade seuchenbedingte Entschleunigung herrscht?

Oldie-Abend mit Cover-Band

Tom Morello The Atlas Underground Fire Cover Mom+Pop Records

2018 veröffentlichte Morello bereits mit „The Atlas Underground“ eine Scheibe mit Gästen wie Marcus Mumford, Killer Mike oder Wu Tang Clans GZA und RZA – eine ambitionierte Scheibe, die ob seines Genremixes nicht komplett rund lief aber als okayes Mixtape durchaus funktionierte. Jetzt kommt der Nachschlag. Im Vorfeld konnte man das personell dickste Pfund bereits hören: „Highway To Hell“ mit dem Boss höchstselbst am Mikro neben dem nicht weniger legendären Eddie Vedder. Große Namen, großer Song. Und: Großes Schulterzucken.

Live auf einem Konzert wie auch auf einem Live-Album wäre so etwas natürlich eine Wucht, aber so: Als zweiter Song nach dem Opener „Hellfighter“, der aus dem RATM-Ausschuss hätte stammen können, wenn nicht die leicht verstörende K-Pop-Talking Box dabei wäre. Aber die Gitarre, der Rumms: nicht verkehrt. Der Break zu den alten Männern, die eine ihrer liebsten, uralten Hymnen zum Besten geben hat danach trotz fetter Produktion etwas von aufgeblasenem Oldie-Abend mit Cover-Band. Toll nach dem zwölften Bier, aber Kaufgründe sehen anders aus. Morellos charakteristischer wie fulminanter Klang setzt ein paar Akzente, Vedder ist nicht wahrnehmbar. Kein Wunder, wenn Springsteen mitsingt.

Tom Morello beweist sein Fan-Ohr

Die Geister, die sie riefen, folgen, wenn Morello mit Bring Me The Horizon bei „Let’s Get The Party Started“ weiter macht. Es hätte weit schlimmer kommen können, mit einer Band wie Korn z.B. Dass Morello sein Fan-Ohr noch nicht in Rente geschickt hat beweisen die Zusammenarbeiten mit Phantogram („Driving To Texas“ ist nach dem Gemetzel vorher ein derber Cut, aber eines der schönsten Stücke der Platte), phem („Night Witch“ funktioniert als knalliger Indie-Pop eher so semi neben dem Plattenrest, ist aber eigentlich auch nicht verkehrt), Grandson („Hold The Line“ wäre dann eher der Sud vom RATM-Ausschuss), Chris Stapleton (die Country-Rock-Seufzballade „The War Inside“ kickt ähnlich mit Vorverstärkern wie „Highway To Hell“, allerdings in einer anderen Kneipe) oder Mike Posner („Narata“ addiert ein wenig Kaugummi-Trap ins Geschehen).

Diese Auswahl an Kollaborateuren ist vielleicht nicht unbedingt immer musikalisch erlesen, aber respektabel. Mit Damien Marley sowie Dennis Lyxzén von Refused sagen noch ein paar Hochkaräter guten Tag (was jedoch nur für die Künstler gilt, nicht für die Songs). Überhaupt scheinen hier ausnahmslos Musizierende am Start, für die soziales Engagement ebenfalls kein Fremdwort ist. Entlassen aus dem Album werden die Hörenden mit dem (die meisten werden es wohl anders sehen) Top Track der Scheibe, „On The Shore Of Eternity“ mit DJane Sama’ Abdulhadi aus Palästina, bei dem sich knallige Technobeats mit Morellos filigranem Spiel bewusstseinserweiternd paaren.

Alles, außer egal

Letztendlich ist es natürlich Geschmackssache, welche Teile dieses Genre-Mixtapes einem mehr oder weniger zusagen. Stringent hörbar ist diese Scheibe nur mit viel gutem Willen und Respekt vor dem Künstler sowie seinen Mitstreiter:Innen neben dem Verdrängen der Tatsache, dass Morellos Aktivismus auch Engagement für den BDS mit einschließt. „The Atlas Underground Fire“ ist etwas mehr als nur ein Album und damit ein streitbarer wie hoch interessanter Beitrag des Polit-Aktivisten Tom Morello, der streckenweise musikalisch nervt und langweilt, zum Teil jedoch sehr überzeugt. Das ist alles, außer egal.

„The Atlas Underground Fire“ von Tom Morello erscheint am 15.10.2021 bei Mom + Pop Music. (Das Beitragsbild von Travis Shinn zeigt Eddie Vedder, Tom Morello und Bruce Springsteen))

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