Tobias Sommer: Das gekaufte Leben

Tobias Sommer by Juliane Hesse

In seinem neuen Roman „Das gekaufte Leben“ setzt Tobias Sommer einen außergewöhnlichen Plot exzellent in Szene

Im Teenageralter veränderte sich sein Leben kolossal. Mit sechzehn Jahren verlor Clemens Freitag seine Eltern bei einem Unfall und geriet selbst aus dem Gleichgewicht. Ohne Schulabschluss und ohne einen stabilen Job führt er zwanzig Jahre später ein absolutes Außenseiterdasein in Berlin und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben. Mit der Miete immer leicht in Verzug, das Konto halbwegs ausgeglichen, aber Glück und Zufriedenheit sieht auch in Freitags Augen anders aus. Auf einer Versteigerungsplattform im Internet stolpert er über ein unglaubliches Angebot, das wie geschaffen zu sein scheint, um sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Ein gewisser Götz Dammwald aus Zaun in der ostdeutschen Provinz bietet die Übernahme seiner eigenen Lebenssituation mit Haus am See, einen SUV, Job und alles was dazugehört an. Um sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, muss Clemens Freitag letztendlich das Konto seiner Eltern plündern und endgültig ihren Tod akzeptieren.

Ein gekauftes fremdes Leben mit allen Konsequenzen

Tobias Sommer Das gekaufte Leben Cover dtv

Für eine Viertelmillion ersteigert Freitag schließlich Dammwalds Leben und zieht zur Jahreswende in seine neue, dörfliche Umgebung. Von den Kollegen im gutbezahlten Job, von den Nachbarn und den drei Mitgliedern des Angler-Stammtisches wird er freundlich empfangen und behandelt als wäre er Götz Dammwald persönlich. Was ja prinzipiell der Fall ist, schließlich hat Freitag dessen Leben mit allen Konsequenzen gekauft. Obwohl Freitags Recherchen nichts Auffälliges ergaben, ahnt man natürlich als Leser, dass irgendwo in Dammwalds Vergangenheit ein dunkler Fleck zu finden sein muss. Sukzessive erschafft Tobias Sommer nachfolgend eine spooky Atmosphäre, die das Leben Freitags im neuen Haus mitunter an Stephen Kings „Shining“ erinnern lassen. Warnzeichen in schriftlicher Form, durch Schritte im Dunkeln, durch einen bellenden Hund sowie Zeitungsausschnitte über einen gefundenen Ringfinger ohne Ring lassen Freitag zunehmend stutzig werden und darüber nachdenken, weshalb sein Vorgänger aus dieser scheinbaren Idylle ausgestiegen ist.

Tobias Sommer beherrscht die Elemente des Bedrohlichen

Sehr geschickt spielt Tobias Sommer auf der Klaviatur des Unheimlichen und Bedrohlichen. Der 1978 geborene, 2014 für den Bachmann-Preis nominierte Schriftsteller pendelt mit „Das gekaufte Leben“ gekonnt zwischen bedeutungsvoller Unterhaltungsprosa und Elementen des Psychothrillers. Der sonst in Rezensionen oft bemühte „Sog“, in den Leser hineingezogen werden, trifft auf den Stil Sommers in diesem Buch tatsächlich voll und ganz zu. Ein trickreich aufgebauter, spannender Unterhaltungsroman mit einem eher ängstlichen, mit Bindungsängsten lebenden und von Schuldgefühlen geplagten Protagonisten. Ein außergewöhnlicher Plot, von Tobias Sommer exzellent in Szene gesetzt.

Tobias Sommer: „Das gekaufte Leben“, dtv, Hardcover, 336 Seiten, 978-3-423-28997-9, 22 Euro. (Beitragsbild von Juliane Hesse)

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