Timo Blunck: Die Optimistin – Roman

Timo Blunck credit Elliot Blunck

In seinem zweiten Roman „Die Optimistin“ erfindet Timo Blunck eine abenteuerliche Biographie für seine Protagonistin Charlie Keller

Das war natürlich eine fabelhafte Marketingstrategie. Als im September 2020 die Single „Ich, Sigmund Jähn“ einer gewissen Charlie Keller beim Hamburger Label Tapete Records erschien, musste auch Sounds & Books mit einem Song des Tages auf den (Werbe)Zug aufspringen. Erst langsam lichtete sich der Nebelschleier um die angeblich in der DDR zu Ehren gekommene Sängerin, um deren sonstige Vergangenheit sich nur weitere Mythen rankten. Die ganze „Wahrheit“ über das Leben der Charlotte „Charlie“ Keller schreibt nun Timo Blunck in seinem nach „Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?“ zweiten Roman „Die Optimistin“ nieder. Musiktechnisch verleiht Sängerin Franziska Herrmann der Kunstfigur Charlie Keller ihre Stimme, im Roman lässt Blunck die nun 80 Jahre alt werdende Dame selbst zu Wort kommen.

Toygars Hochzeitsflucht

Timo Blunck Die Optimistin Cover Heyne Hardcore

Keller wohnt in der Seniorenanlage „Zu Hause im Lilienhof“ an der Ostsee, wohin es Toygar Bayramoğlu auf seiner Flucht vor einer arrangierten Hochzeit verschlägt. Der fast 30-jährige Journalist hält den Kopf für seinen beim berüchtigten Berliner Kiez-Kredithai Celâl Dinç verschuldeten Vater hin und soll Dinçs 16jährige Nichte heiraten. Kurz vor der Vermählung nimmt Toygar auf spektakuläre Weise auf einem Dromedar Reißaus und versteckt sich anschließend in Kellers Wohnung der Seniorenresidenz. Die vor Lebensfreude sprühende und von ihrer „Adoptivtochter“ Miriam betreute Charlotte Keller freut sich über den unerwarteten Besuch und berichtet Toygar innerhalb von zwei Tagen und von gelegentlichen Nickerchen unterbrochen ihre Lebensgeschichte. Keller erweist sich hierbei zwar als historisch unzuverlässig Berichtende, die ihre geschönte Biographie jedoch überaus charmant und humorvoll zu vermitteln vermag.

Charlie Keller und Ringo Starr

Eine Biographie, die sich um die Beziehung zu ihrem geliebten Mann Hasso dreht, der als Elfjähriger in den Wirren des Kriegsendes angeblich den flüchtenden Führer getroffen und als Erwachsener Medizin studiert hat. Eine Biographie, in der Charlotte Keller u.a. auf Elvis Presley, Jean Cocteau, Jean Marais, Yves Saint Laurent,  die Rolling Stones sowie die Beatles trifft und in der sie Ende der Siebziger in der DDR zu einer bekannten Sängerin aufsteigt. Mit Schlagzeuger Ringo Starr, der ihr den Namen „Charlie“ verpasst, beginnt sie gar eine Liaison, während später die Journalistin und RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, der Keller einen alternativen Lebenslauf andichtet, zu ihrem näheren Umfeld zählt.

Timo Blunck schüttelt ein Füllhorn an Pop-Referenzen aus

Timo Blunck, als Musiker durch seine Arbeit bei Palais Schaumburg und Die Zimmermänner bekannt geworden, erzählt die die beiden Handlungsstränge, Kellers Biographie und die Suche des Dinç-Clans nach Toygar, parallel und schüttet ein Füllhorn an musikalischer und cineastischer Pop-Referenzen über die Leser aus. Er erfindet mit Charlotte Keller eine sympathisch-flunkernde und sich altersbedingt rocknrollige Freiheiten erlaubende („Für diesen ganzen Political-Correctness-Kram habe ich keine Zeit.“) Hauptfigur, der nicht minder schillernde Protagonisten zur Seite stehen. Blunck brilliert mit skurrilen Einfällen und witzigen Dialogen, bedient sich hier und da gewissen Klischees, die er allerdings humoristisch pointiert aufs Papier bringt, und erschafft ein unterhaltsames wie abgefahrenes Lese-Abenteuer. Und ohne zu viel zu verraten, liegt bei einem Romantitel wie „Die Optimistin“ ein positives Ende des Toygar-Plots natürlich nahe.

Timo Blunck: „Die Optimistin“, Heyne Hardcore, Hardcover, 352 Seiten, 978-3-453-27291-0, 20 Euro. (Beitragsbild von Elliot Blunck)

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