The Pearlfishers: Making Tapes For Girls

David Scott The Pearlfishers von Werner Herpell

Eigentlich waren The Pearlfishers schon Geschichte. Doch jetzt kehrt das schottische Sophisticated-Pop-Projekt um David Scott glorreich zurück. „Making Tapes For Girls“ ist ein Prachtstück von Comeback-Album.

von Werner Herpell

Man muss schon etwas älter sein (wie dieser Schreiber), um jenes „Mixtape“-Phänomen noch aus eigener Erfahrung zu kennen, das David Scott zum Aufhänger des neuen und womöglich wieder einmal allerschönsten Albums seiner Band The Pearlfishers gemacht hat. Zu einer bezaubernden Melodie voller unaufdringlicher Sophisticated-Pop-Zitate erzählt uns der Singer-Songwriter aus der Nähe von Glasgow im Opener und Titelsong „Making Tapes For Girls“ von „a world of country, folk, and the blues“. Und davon, was es bedeutet, mit selbst zusammengestellter Musik auf einer 60-Minuten-Cassette einem anderen (nicht notwendigerweise romantisch angehimmelten) Menschen eine Botschaft zu übermitteln.

Lieblingslieder als Spiegel

„I didn’t know how to say the right things/So I left it to Joni and Paul/Life held no clues for life/But those songs held them all…“, singt Scott mit warmer, auf Anhieb

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sympathischer Stimme. Lieblingslieder von McCartney und Mitchell als Spiegel der eigenen Persönlichkeit, darum geht’s. „When we were learning about the world by making tapes for girls“, lautet der letzte Satz dieses wunderbaren Liedes. Damit macht Scott zugleich klar, dass er hier nicht eine altersmäßig unangemessene, peinliche Ranschmeiße an junge Mädchen bejubelt. „Als ich den Titel ‚Making Tapes For Girls‘ fand, war ich als fast 60-jähriger Mann ein bisschen besorgt…“, räumt er im Interview von Sounds & Books lächelnd ein. Aber: „Der Song handelt nicht aktuell von ‚Do you wanna be my girlfriend?‘. Es ist ein Song, der sich damit beschäftigt, wie man Beziehungen erlernt.“

Melancholisch und nostalgisch, aber nicht kitschig oder gar schmierig. Typisch David Scott, typisch The Pearlfishers.

Songperlen von solch hoher Qualität gibt es gleich mehrfach auf jedem Album dieses seit 1997 vom Hamburger Liebhaber-Label Marina betreuten Bandprojekts. Dass „Making Tapes For Girls“ mit zwölf neuen Liedern nun als achter Marina-Longplayer (neben diversen EP’s) von Scott & Co. erscheinen konnte, ist allerdings eine (mehr als willkommene) dicke Überraschung. Denn eigentlich hatte die kleine Plattenfirma vor fünf Jahren mit dem vermeintlich abschließenden Pearlfishers-Werk „Love & Other Hopeless Things“ sowie der Label-Compilation „Goosebumps“ Adieu gesagt. Viele Fans von ambitionierter, smarter Indiepop-Musik vorwiegend englischer und schottischer Herkunft waren traurig.

The Pearlfishers zwischen Wehmut und Euphorie

The Pearlfishers Making Tapes For Girls Albumcover

Im ausführlichen S&B-Interview hat David Scott – ein unfassbar freundlicher, bescheidener, in sich ruhender Musiker – das Zustandekommen von „Making Tapes For Girls“ dankbar beschrieben. Das Ergebnis gibt den Comeback-Bemühungen aller Beteiligten von Band und Label Recht. Wieder schwelgen The Pearlfishers in den prächtigsten Harmonien und üppigsten Arrangements. Die Songs pendeln zwischen Wehmut und Euphorie, erinnern an die Beatles, die Beach Boys und Burt Bacharach (die drei großen B’s des Sixties-Pop sind Scott heilig), an den Seventies-Westcoast-Klang von Jimmy Webb oder Harry Nilsson sowie an Achtziger-Jahre-Popgenies wie Paddy McAloon (Prefab Sprout) oder Green Gartside (Scritti Politti).

Schon die Songtitel sagen einiges aus über David Scott als großen Pop-Romantiker („Kisses On The Window“, „Hold Out For A Mystic“, „When The Sun Comes Back To The West Coast“), aber auch über seinen augenzwinkernd-selbstironischen Humor („Put The Baby In The Milk“, „We’re Gonna Make A Hit Record, Boy“). Mehrere Tracks haben mit der geliebten Enkelin zu tun, über deren Namen Scott anrührend sinniert („The Word Evangeline“) und deren Wortschöpfung sogar einen Songtitel hervorbrachte („Yellow & The Lovehearts“). Auch der zarte Album-Closer „Sweet Jenny Bluebelle“ ist dem Kind gewidmet. Wie bereits angedeutet: Man muss schon ziemlich versteinert sein, um von diesen famosen Melodien und umarmenden Lyrics nicht komplett verzaubert zu werden.

„Eine ziemlich große musikalische Familie“

Erstaunlich ist bei Pearlfishers-Platten immer wieder aufs Neue, wie opulent sich das alles anhört, obwohl dem Musikhochschullehrer Scott keine Riesenbudgets zur Verfügung stehen (das mit dem „Hit Record“ hat bisher trotz exzellenter Alben ja nicht geklappt). Er kann sich auf eine Kern-Band verlassen, die ihm auf seinen Wegen seit langem folgt – etwa Co-Produzent Johnny Smillie, Jamie Gash am Schlagzeug, Dee Bahl am Bass, die Background-Sänger Stuart Kidd und Rebecca Wallace, die stets gleichen Streicher und Bläser.

„Eine ziemlich große musikalische Familie“ nennt Scott diese Pearlfishers-Vertrauten – wobei Glasgow mit Bands/Projekten wie Teenage Fanclub, BMX Bandits, Friends Again, Love & Money, The Bluebells, The Bathers oder Starless seit über 40 Jahren ohnehin ein äußerst fruchtbares Indiepop-Biotop bildet. Außerdem: „Es gibt eine Menge guter Studios auch in Glasgow“, sagt der 59-jährige Sänger, Songwriter, Produzent und Multiinstrumentalist. „Für dieses Album habe ich in einem kleinen Studio namens La Chunky aufgenommen, mit tollen analogen Vintage-Geräten. Die Streicher habe ich an einem Ort namens Chem 19 eingespielt, damit es richtig groß klingt. Einiges habe ich auch zu Hause aufgenommen, und einiges an der Universität in Ayr an der Westküste Schottlands.“

The Pearlfishers und die Gerechtigkeit im Pop

„Making Tapes For Girls“ ist ein so herrliches Album, dass man wieder einmal über die Gerechtigkeit im Pop grübelt, also: Warum ist solche Musik nicht viel erfolgreicher? „Ich habe schon vor vielen Jahren aufgehört, darüber nachzudenken“, winkt David Scott jedoch ab. „Ich habe ein Publikum für meine Musik, die Leute lieben sie. Ja, ich würde gerne weitere 50 000 Platten verkaufen. Das ist mir aber eben nicht gelungen. Doch ich weiß, dass meine Musik einen Einfluss auf die Leute hat. Ja… das bedeutet mir viel, das tut mir gut.“

Daher geht es dem obersten Perlenfischer wohl auch künftig mit jeder weiteren Platte vor allem darum, seine eigenen Qualitätsstandards zu erfüllen. Denn: „Das Altern bringt viele Dinge mit sich, eines davon ist: Wir werden nicht ewig hier sein. Und ein Teil davon wiederum ist, dass wir das Beste daraus machen müssen. Das kann oder sollte ein Songwriting durchdringen.“ Was für ein denkwürdiger Schlusssatz im S&B-Interview. Wer „Making Tapes For Girls“ mit all seiner Pop-Eleganz in Ruhe hört, wird ihn mit Sicherheit verstehen. Danke, David!

Das Album „Making Tapes For Girls“ von The Pearlfishers erscheint am 24.05.2024 bei Marina Records. (Beitragsbild von Werner Herpell) 

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