The Mystery Lights: Purgatory

The Mystery Lights credit Julia Khoroshilov

The Mystery Lights kehren nach Jahren der Abkehr und Rückbesinnung mit einem eklektischen Stück Garage-Poesie zurück

von Ben Kaufmann

Widerspruch. Und Einheit im Fluss. Es beginnt wie es einst endete. Und doch ist alles neu. Zeit dehnt sich vor und zurück, droht indes immer wieder zu stagnieren. Eingeschlossen in einer Welt zwischen den Gedanken erklimmt die Dichterin täglich einen in Flammen stehenden Berg, auf dessen Gipfel sich eine kleine Hütte befindet. Noch bevor sie klopfen kann, öffnet ihr eine Doppelgängerin die Tür und verschwindet wortlos in den lodernden Feuersäulen. Im Bücherregal haben kitschige Liebesbriefsammlungen Platz gemacht für Bände von Osho und Carl Gustav Jung. Umringt von zwielichtigen Propheten begibt sie sich auf die Reise durch das innere Labyrinth. Unzählige Hände berühren sie: manche gedenken sie zu führen, andere wollen sie heilen. Nachts erwacht sie in katatonischer Stille. In einer hell erleuchteten Zimmerecke stimmt ein rot geschminkter Harlekin seine Ballade an, bevor er jäh verstummt. Zurück bleibt ein elektrisches Dröhnen.

Mystery Lights: „We’re a little more experimental, we’re not sticking to one sound.“

Auch wenn die Mystery Lights meinen ihre nun dritte Platte für Wick Records klinge so gar nicht nach den beiden Vorgängern, rufen bereits die ersten Takte des Albums jedem Bandkenner zumindest eine auditive Vertrautheit in den Kopf. Der seit Bandbeginn stark durch Lenny Kayes 60’s-Nuggets beeinflusste raue Psychedelic-Garage-Sound der Lights ist auch auf der neuen Platte zu vernehmen.

Allerdings hat die Band ihre Songpalette von Album zu Album zunehmend experimenteller, vielschichtiger und diverser arrangiert. Sie folgen demnach keinesfalls mehr einem musikalischen Gesamtkonzept, vielmehr dem individuellen Drive eines jeden Songs. Auf dem aktuellen Album geht die Diversität gar so weit, dass man zwischendurch das Gefühl bekommen könnte, man höre einen ebenso handverlesenen Sampler wie jener, der sie einst beeinflusste.

Mike Brandon: „They’ll put the synth stuff in after I write the Roy Orbison Ballad.“

Die Vertrautheit weicht bereits zu Beginn des zweiten Songs “Memories“, der – ähnlich wie das schamanische “Trouble“ – im Hinblick auf die experimentelle Instrumentierung von Solo- und Bandgesängen den Einfluss von Captain Beefheart und The Monks am deutlichsten erkennen lässt.

Dass sich die Lights in unterschiedlichen Genres gleichermaßen zu Hause fühlen, zeigt der Titeltrack “Purgatory“. Ein markant psychedelischer Auftakt wird zum Ende hin von L.A. Solanos und Lily ‚Lilcifer‘ Rogers verzerrten Gitarren-Synth-Flächen abgelöst, welche an die progressiven Klangexzesse von Phil Manzanera, Andy Mackay und Brian Eno auf den ersten beiden Roxy Music-Alben erinnern. Solche formell entrückten Outros und Intros findet man vermehrt auf dieser Platte; sie verleihen ihr einen (alp)traumhaften Charakter. “In The Streets“ und “Can’t Sleep Through The Silence“ bezeugen die seit jeher starke Verbindung zwischen Punk und 60’s Garage-Rock und im Speziellen Brandons/Solanos frühe musikalische Prägung aus ihren kalifornischen Zeiten.

The Mystery Lights beschreiten auf “Purgatory“ zunehmend dunklere Pfade

Die Synth-Ballade “Together Lost“, das post-punkige “Automatic Response“ und die psychedelische Hymne “Cerebral Crack“ schlagen Seiten auf, die schattiger daherkommen. Initiiert wird dieser düstere Sound nicht zuletzt durch tiefe Moll-Orgelklänge, distorted Reverbs und Brandons mythisch-hallige Stimme. Mitten in diesen dunkel-trippigen Gefilden reckt sich mit der Kinks-Hommage “Sorry I Forgot Your Name“ ein in seiner Leuchtkraft obskur daherkommender Sonderling empor, als hätte David Lynch kurzzeitig die Regie übernommen.

Als weiteres, zunächst unaufdringliches Herzstück erweist sich der freak-beatig daherkommende Track “Don’t Want No Don’t Need No“, bevor das somnambule “Snuck Out“ und ein letztes Synth-Outro den Zuhörer in eine endlose Nacht entlassen. Die Mystery Lights haben zusammen mit dem erneut intensiv beteiligten Produzent Wayne Gordon ein musikalisches Chamäleon erschaffen, dem man in schriftlicher Form schwerlich gerecht werden kann.

„Purgatory“ von The Mystery Lights erscheint am 13.09.2024 bei Wick Records. (Beitragsbild: Julia Khoroshilov)

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