The Low Anthem: Smart Flesh

Ein kleiner Folk-Rock-Geniestreich

von Gérard Otremba

Man kann sich einfach nicht satthören an den vielen Indie-Folk-Rock-Pop-Bands, die in letzter Zeit für Furore auf dem Musikmarkt sorgen. Zwei von ihnen, Mumford & Sons sowie die Avett Brothers, erhielten den Ritterschlag und durften Bob Dylan und seine Band während der Grammy-Verleihung live auf der Bühne begleiten. Für den nächsten Auftritt dieser Art bewerben sich nun Ben Knox Miller, Jeff Prystowsky, Jocie Adams und Mat Davidson. Die vier Multiinstrumentalisten firmieren unter dem Namen The Low Anthem und legen mit ihrem vierten Album „Smart Flesh“, nach „The Low Anthem“, „What The Crow Brings“ und „Oh My God, Charlie Darwin“, einen tiefgründigen Songreigen voller Poesie vor.

Folk-Blues und Country-Folk mit Harmonium, Klarinette und Piano

„Ghost Woman Blues“, ein alter Folk-Blues-Song von Goerge Carter, beginnt mit einem langsamen Piano-Einsatz, verhallte Harmoniegesänge übernehmen die Führung, Klarinette, Kontrabass und Harmonium gesellen sich hinzu, zusammen lassen sie die Zeit still stehen. Obwohl leicht verhallt, sind die Gesänge berührend, traurig und zutiefst romantisch. Wer hier keine Träne verdrückt, kennt keine Gefühle. Allerfeinster Country-Folk-Pop folgt mit „Apothecary Love“, wo sich der Geist von Gram Parsons und Emmylou Harris erhebt, stilgerecht mit Steel Gitarre und Mundharmonika verfeinert. Bei „Boeing 737“ sprengen die beteiligten Musiker alle Fesseln, lassen eine große Party steigen und haben hörbar Spaß dabei, aus Trompeten, Hörnern, Posaunen, Violinen, Cellos, Gitarren und Schlagzeug eine euphorische und feierliche Hymne zu komponieren, nur um anschließend sofort die Handbremse zu ziehen und mit traumhaften Harmoniegesängen, begleitet allein von der klassischen Gitarre, in die himmlische Ode „Love And Altar“ zu fallen.

Die Stimme von Bob Dylan und die Poesie von Leonard Cohen

„Matter Of Time“ klingt wie ein verschollenes und endlich wiederentdecktes Outtake von Bob Dylan, sogar in der Stimmenphrasierung gibt sich Sänger Ben Knox Miller alle erdenkliche Mühe, wie der Altmeister zu klingen. Ganz dezent auch hier die Begleitung mit Standbass, Mundharmonika und Harmonium. Tom Waits ist auch nicht mehr fern. „Wire“ ist ein Instrumentalstück für Klarinetten, den eindringlichsten in ihrer Ansammlung an wunderbaren Songs lassen The Low Anthem dann aber mit „Burn“ folgen. Soviel Leonard Cohen war schon lange nicht mehr. Das geht wirklich tief unter die Haut, die Seele wird schmerzhaft aufgeschlitzt, so schön, so poetisch: „If still there’s a song deep in this marrow / Who lets you draw that last shivering arrow / What kind of smarting loon / Believes that he can shoot the moon / Calm these frailing nerves They ask to be preserved“.

The Low Anthem gelingt mit „Smart Flesh“ ein kleiner Geniestreich

„Hey, All You Hippies!“ bricht noch einmal aus den Refugium der Langsamkeit heraus, bevor in „I’ll Take Out Your Ashes“ ein gezupftes Banjo die Oberhand gewinnt und die Harmoniegesänge mit viel Piano und Klarinette „Golden Cattle“ zum Strahlen bringen. Den krönenden Abschluss bildet der Titelsong „Smart Flesh“, mit jeder Menge Tom Waits-Instrumentarium und Cohen-Poesie, mehr Gedichtvortrag als Gesang inklusive. Es erscheint alles so trostlos bei The Low Anthem und ist doch so tröstlich. Die Musik auf „Smart Flesh“ verströmt Tiefgang, Anmut und Grazie. Hier lohnt sich das Zuhören. Zweifellos gelingt The Low Anthem ein kleiner Geniestreich, ähnlich der Band Freelance Whales und ihrem Debüt-Album „Weathervanes“.

„Smart Flesh“ von The Low Anthem ist bei Bella Union / Cooperative Music erschienen.

 

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