Entfesselter Neo-Folk-Rock
von Gérard Otremba
Es ist mehr als interessant, den Werdegang einer jungen, in Europa noch weitgehend unbekannten Band zu beobachten. Die aus Seattle stammende Formation The Head And The Heart tauchte im März 2011 als Support von The Low Anthem erstmals im Uebel & Gefährlich in Hamburg auf. Schon damals war das Publikum mehr als angetan von dem ausgelassenen Folk-Rock des Sextetts aus dem Nordwesten der USA. Ein noch größeres Auditorium erreichten The Head And The Heart als Vorgruppe von Death Cab For Cutie auf deren Deutschlandtour im ausverkauften Docks im Juni dieses Jahres.
Ein überwiegend junges, studentisches Publikum erwartet The Head And The Heart
Und es scheint sich ausgezahlt zu haben. Zur Zeit begleiten die Amerikaner My Morning Jacket auf ihrer Europatournee und nutzen einen freien Abend für ihren ersten Headliner-Auftritt in Hamburg. Bereits um 20.30 Uhr beginnen Waste Of Joy, eine noch sehr junge Hamburger Band, die jedoch durch einen unbeschwerten, Gitarren orientierten Rock-Pop zwischen den Smiths und den Modern Lovers auf sich aufmerksam macht. In der Zwischenzeit wird das Uebel & Gefährlich immer voller, ein überaus junges, studentisch anmutendes Publikum bevölkert den Saal. Es scheinen sich noch viele an den Auftritt im Docks erinnern zu können. Erfreulich und erstaunlich zugleich, spielen The Head And The Heart im Prinzip nichts anderes als, allerdings sehr guten, Old-School-Folk-Rock. Und einen grandios euphorischen noch dazu.
Die ansteckende Euphorie von The Head And The Heart
Und das steckt an. Von Beginn an geht das nun wahrlich zahlreich erschienene Publikum mit. Über den schönen Aufgalopp von „Cats and Dogs“ hinüber zum famosen, mit vielen Rhythmus- und Tempi-Wechseln versehene „Coeur d’Alene“, ein erstes großes Highlight an diesem Abend. Der Enthusiasmus, mit dem Charity Rose Thielen (Geige, Gesang), Jonathan Russell (Vocals, Gitarre), Josiah Johnson (Vocals, Tambourine, Gitarre), Chris Zasche (Bass), Tyler Williams (Drums) und Kenny Hensley, der in seiner gebeugten Sitzhaltung am Keyboard unweigerlich an den Piano spielenden Schroeder von Charlie Brown erinnert, an die Sache herangehen, ist phänomenal. Es wird ausgelassen gehüpft und getanzt, das Tamburin rasselt, die Gesänge von Thielen, Russell und Johnson harmonieren und jubilieren, wer hier nicht in Entzückung gerät, dem ist nicht mehr zu helfen.
The Head And The Heart und das Publikum im Rauschzustand
Der Applaus wird immer heftiger, es entwickelt sich ein gegenseitiges Geben und Nehmen zwischen Band und Publikum, beide Seiten versetzen sich in einen Rauschzustand, der sich von Song zu Song steigert und in „Lost In My Mind“ zweifellos seinen Höhepunkt erreicht. Auch die anderen Songs ihres selbstbetitelten Debütalbums, von „Ghosts“, über „Sounds Like Hallelujah“ bis hin zu „Down In The Valley“ stehen der Performance von „Lost In My Mind“ in nichts nach. Die Konzertbesucher können längst alle „uh-uh-uh“- und „ah-ah-ah“-Chorgesänge fast perfekt mitsingen und auch einige neue Songs werden überschwänglich gefeiert und passen sich mühelos ins Programm an. Man hat das Gefühl, der Geburt neuer Stars beiwohnen zu dürfen. Die Zeiten als Support für andere Bands sollten für The Head And The Heart nächstes Jahr nun wahrlich vorbei sein. Hamburg jedenfalls ist bereit und freut sich auf ein baldiges Wiedersehen.