The Avett Brothers live in Hamburg

Country-Folk in der Hamburger Fabrik

von Gérard Otremba

Im Vorprogramm der Avett Brothers treten The Charcoal Sunset auf, eine neue Band aus Berlin, die im April 2011 ihr gleichnamiges Album bei RadioTransmissionMusic/Rough Trade veröffentlichte. Erstaunlicher- und erfreulicherweise gibt es tatsächlich deutsche Bands, die das Terrain des Independent-Alternative-Country um einige feine Nuancen bereichern. Die gespielten Songs erinnern abwechselnd mal an den Dylan-Roll der letzten Tour, mal an Steve Forbert, mal an die Dexy’s Midnight Runners und Anklänge an die Waterboys sind ebenfalls zu vernehmen. Man kann nur hoffen, daß „The Charcoal Sunset“ den eingeschlagenen Weg weiter verfolgen werden, dann wird man in Zukunft mehr von dieser Band hören.

Die Avett Brothers und Bob Dylan bei der Grammy-Verleihung

Es war schon ein Ritterschlag ersten Grades, den die Avett Brothers im Februar 2011 erhielten. Gemeinsam mit den artverwandten Musikerkollegen von Mumford & Sons begleiteten die Avett Brothers Bob Dylan und seine Band bei dessen ultracoolen Version von „Maggies Farm“. Und jedes Wiedersehen dieses Auftritts auf Youtube erzeugt immer noch Gänsehautatmosphäre pur. Jede Menge akustische Gitarren, dazu Banjos, Kontrabässe, Akkordeon, eine schöneres musikalisches Geleit hatte Dylan schon lange nicht mehr. Bevor sie Dylan die Ehre geben, spielen sie ihre Hymne „Head Full Of Doubt/Road Full Of Promise“. Und alle Bandmitglieder durchgehend adrett gekleidet.

Die feierliche Hymne der Avett Brothers heißt „Head Full Of Doubt/Road Full Of Promise“

Für das Konzert in der Hamburger Fabrik wählen die Brüder Scott und Seth Avett ein vergleichsweise legeres Outfit. Ihre Musik bieten sie aber genauso überzeugend dar wie bei der Grammy-Verleihung. Die angesprochene opulente Hymne „Head Full…“ darf natürlich nicht fehlen, steht an vierter Stelle der Setlist und ist mit einem überwältigenden und feierlichen Pathos angereichert, es ist eine wahre Pracht. Dabei beginnt das Konzert ganz und gar folklastig mit „Shame“. Akustische Gitarre, Banjo, der schönste Brüdergesang seit den Everly Brothers sowie der Standbass von Bob Crawford sorgen für eine heimelige Stimmung, bevor es mit „Tin Man“ schon wesentlich ausgelassener zur Sache geht und Schlagzeug und Bass diesen enthusiastischen Folk-Country-Punk unterstützen. „Pretty Girl From Annapolis“ reduziert sich wieder auf die leisen akustischen Instrumente und den Brüdergesang von Scott und Seth Avett.

Der Folk-Country der Avett Brothers, die Coen-Brüder und der Song „I And Love And You“

Die Avett Brothers finden an diesem Abend die perfekte Mischung aus Folk-Country, der in Songs wie „Left On Laura, Left On Lisa“, „January Wedding“ und „Ten Thousend Words“ seine Bestimmung findet sowie flotteren Uptempo-Nummern wie „Incomplete And Insecure“ und „And It Spread“. Die ausgelassenen Verrücktheiten der Avett Brothers kulminieren schließlich in einer völlig durchgerockten Version von „Kick Drum Heart“, mit einem, unfaßbar aber wahr, Gitarrensolo. Ganz zum Schluß wartet natürlich noch mit „I and Love and You“ das Manifest der Avett Brothers auf das euphorische Publikum, eindeutig die Wiedererkennungshymne der Band aus North Carolina. Und mit der abschließende Zugabe „Down To The Valley To Pray“ entlassen die Avett Brothers nach gut 90 Minuten ihre Fans in die lauschige Hamburger Nacht hinaus und bewerben sich für den nächsten Soundtrack eines Films der Coen-Brüder. „O Brother, Where Are Thou?“ läßt grüßen. Und alle, die die 2009 erschienene und von Rick Rubin produzierte CD „I And Love And You“ immer noch nicht besitzen, sollten sich schnellstens auf den Weg zu ihrem Plattenhändler des Vertrauens machen und diese erwerben.

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