Terrorgruppe: Jenseits von Gut und Böse

Terrorgruppe Foto Philipp Virus

Trotz schweren Starts: Ein würdiger Abgang für die Terrorgruppe

Die Berliner Punkband Terrorgruppe hatte Mitte der 90er Jahre deutlich dazu beigetragen, dass man einfach Spaß daran haben konnte, deutschsprachigen Punkrock zu hören, ohne gleich den Bundestag anzünden zu wollen oder gegen politische Feinde wöchentlich in den Straßenkampf ziehen zu müssen. Klare Anti-Nazi-Haltung („Opa“) traf auf pimmelwitziges Getue („Ich schlafe mit mir selbst“) und ihr Verständnis von funnigem Punk, das sich langfristig einbrannte und die Terrorgruppe auch nach ihrem Ableben für immer in die Riege der unsterblichen deutschprachigen Punkbands heben wird, die, alle ganz verschieden, unterhaltsam und abstoßend zugleich halsbrecherischen Humor mit ernster Kritik an der Gesellschaft verbanden.

Terrorgruppe damals

Da wären Wizo, Knochenfabrik, Die Ärzte, Die Kassierer und eben auch die Berliner Terrorgruppe. Alles Bands, die mit teils sehr schrägem Humor auf die Brachlandschaften menschlichen Miteinanders aufmerksam machen, ohne dabei den Spaß zu verlieren. Und trotz dieser Einreihung sind die Terrorgrüppler nochmal eine Marke ganz für sich. Musikalisch, denn zum Punkrock kamen noch Reggea, Ska und versuchter Pop dazu, aber auch inhaltlich. Keine der genannten Bands hätte wohl Songs wie „Opa“, „Gestorben auf dem Weg zur Arbeit“, „Keiner Airbags für die CSU“, „Kinderwahnsinn“ oder „Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland“ so rausschnauzen können wie die Terrorgruppe! Doch auch das punkige Schnauzen war nie nur ein Brüllen, denn der unikate satirische Stachel hob sie (wie auch bei den anderen erwähnten Bands) aus der bloßen Punkszene hervor und ließ sie bis in die gesellschaftliche „Mitte“ hinein wirken. Die Terrorgruppe war und ist sowas wie die Titanic (das Satiremagazin) unter den Punkbands.

Der Hörgenuss bleibt auf der Strecke

Warum jetzt dieser Rückblick? Nach sieben Studioalben, Umbesetzungen, einer großen Pause und veröffentlichten Livemitschnitten der Terrorgruppe folgt nun deren achtes Album. Das sogenannte „Lila“-Album, das trotzdem noch einen Namen hat: „Jenseits von Gut und Böse.“ Es soll ihr letztes sein. Die ersten vier Songs machen es sehr schwer, sich das Album überhaupt anhören zu wollen. Die Songs heißen „Suizidoption (Prolog)“, „Sinnlose Beleidigungsstrategie gegen Fabelwesen“, „ADHS“, „Der Trottel (Oi, Oi, Oi)“. Die Themen erstrecken sich zwischen jung geblieben sein wollen, Verzweiflung & psychischer Störung. Der Hörgenuss bleibt auf der Strecke, die Musik ist anstrengend abwechslungsreich und bleibt nicht wirklich hängen. Irgendwie-Punkrock trifft auf Saxophon, auf Post-Punk-Gitarrenriffs, auf Klavier, auf nervige Textwiederholungen. Die Songs sind weder ernst noch lustig, wirken meist wie der Versuch noch irgendetwas zu sagen zu haben.

Terrorgruppe zwischen Fehlfarben und The Clash

Terrorgruppe Jenseits von Gut und Böse Cover Aggropop

Die Hoffnung, dass es besser wird vertreiben die Folgesongs „Fettes betrunkenes dummes Schwein“ und „Lastwagenfahrer“ sehr leichtfüßig, und auch das neue Video zu „Fettes betrunkenes…“ läßt nur mitleidvoll den Kopf schütteln. Witzig war mal richtig lustig, und die Terrorgruppenboys konnten das mal in gut. Ich sehne mich nach den alten Alben, nach Songs wie „Wir müssen raus“ und „Dicke Deutsche“, nach Witz und Leidenschaft. Auf Albumlänge galoppiert sich der Gedanke ein, dass jedem Ende auch etwas Gutes innewohnt. Doch auf einmal kommt das poppige und klare „Ein Führer wird kommen“ und die Platte ist auf einmal wieder im Rennen!

Der Song ist richtig catchy, irgendwo zwischen alten Fehlfarben und The Clash, dazu cooler melodischer Gesang und ein ernstes Thema verpackt in hymnischer Ironie. Der Song ist ein Hit, den man sich auch gleich drei Mal auflegen kann. Und mit „Männers“ geht es auch gleich gut weiter, ist zwar etwas sacklastig, aber man muss auch an die Aeronauten denken, wenn sie schweinischeres Vokabular verwendet hätten haben wollen. Ein Popsong nämlich wie fürs Männertagsradio: Albern, kompakt, sonnig – Terrorgruppe wie man sie schätzt, wenn man sie schätzt.

Franz-Ferdinand-Musik und Sixties-Pop mit Farin-Urlaub-Humor

Auch „Alexandra“ ein Text über eine wieder auftauchende Verflossene ist um Welten besser als die Songs der ersten Albumhälfte. Franz-Ferdinand-Musik trifft auf Sixties-Pop mit Farin-Urlaub-Humor. Der Song „Alt + Delete“ zieht egal am Ohr vorbei und „Nestle“ hat was von den TG-Songs der 1990er. Spannend wird es wieder mit „Easy Jet“, denn der Song ist wohltuend ernst, auch wenn das Thema beunruhigend hässlich ist. Aber auf dem Weg, musikalisch interessant ernste Themen unters Volk zu mischen, auf diesen sollte sich die Terrogruppe machen, denn dann hätten sie auch die verdiente jetzige Bedeutung. Das zwangswitzige, oder auch zwangsbescheuerte von der ersten Albumhälfte könnte man getrost stecken lassen.

Terrorgruppe in opulenter Aufmachung

Gut geht es weiter, denn auch das textlich überragende „Krieg ist super“ macht relevant weiter – und man will dass die Terrogruppe bitte weiter ihre aufklärerischen und trotzdem humorigen Bahnen zieht. Der letzte Track „Zusammenstehen“ schließt dann zurfriedenstellend das Album ab und man selbst bleibt doch irritiert zurück. Die deutsche Punkrockmarke Terrogruppe zeigt sich auf ihrem letzten Studioalbum von allen Seiten ihrer Kunst und das in opulenter Aufmachung.

Denn das Album weiß mit einem künsterlisch gestalteten Booklett auch das Auge mit Bildern von Klaus Theuerkauf (endart) zu erfreuen, die es insich haben! Beim etwas langweilig wirkenden Albuncover hätte man sich das nur wünschen können. Der Abgang ist trotz extrem schweren Starts ein würdiger.

„Jenseits von Gut und Böse“ von Terrorgruppe ist am 26.06.2020 bei Aggropop / Destiny Records erschienen. (Beitragsbild von Philip Virus)

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