Tastemaker Festival 2019 in Hamburg

Tastemaker Festival 2019 in Hamburg Cascadas Ivy Flindt by Gérard Otremba

Zehn starke Acts beim Tastemaker Festival 2019 im Hamburger Club Cascadas

Zum dritten Mal nach 2014 und 2018 (Sounds & Books berichtete) fand in Hamburg das von Redakteur André Itjes (Urbanissimo! – Unterwegs in der Großstadt) veranstaltete Tastemaker Festival statt. Am Freitag, 01.02., sowie am Samstag, 02.02., traten im Club Cascadas insgesamt zehn Acts auf, gleichmäßig verteilt auf jeweils fünf pro Abend. Wiederholt ist es gelungen, ein abwechslungsreiches Line-Up auf die Bühne zu bringen, das vielfältige Musikgenres in den Vordergrund stellt. Kompliment.

Tag 1 beim Tastemaker Festival 2019 mit Blurry Future

Den Auftakt am Freitag machte das junge Hamburger Duo Blurry Future. Sängerin Charlotte Becher und Gitarrist Marlon Mausbach (die Schlagzeug-Arrangements kamen vom Laptop) boten ein geschmeidiges Set zwischen Indie-Pop und TripHop, eine Art Portishead mit Sixties-Soul-Pop-Appeal. Berührend balladeske Nummern standen ebenso auf dem Programm wie sanft groovende, mit einem Touch Funk versehene Songs, die von Bechers kokett-verführerischer Stimme getragen worden sind. Sehr atmosphärische, melancholische, die Zuhörer teilwiese in Trance versetzende Lieder, die Blurry Future vortrugen.

Kassiopeia

Anschließend wartete die in Köln beheimatete Lina Farah, alias Kassiopeia, auf. Die stimmgewaltige Sängerin und Pianistin musste auf ihren für ein Studienjahr in Istanbul weilenden Drummer verzichten, behalf sich indes mit elektronischen Beats und schmetterte mit ihrer kraftvollen, die arabische Herkunft nicht verleumdenden Stimme pathetische Lieder. Opulente, überbordende Arrangements sowie gefühlvolle Balladen bestimmten sie Setlist und Lina Farah vermochte sowohl Traurigkeit als auch Sehnsucht und Leidenschaft in ihre Vokalakrobatik zu legen. Ein beeindruckender Auftritt, der mit einer schönen Coverversion von Stings „Desert Rose“ endete.

Felicia Försvann

Wie üblich verzückte anschließend Jenny Apelmo, die hinter dem  Moniker Felicia Försvann steckt, die Besucher des Tastemaker Festivals. Die Bassistin der nordfriesischen und seit einigen Jahren in Hamburg lebenden Folk-Rock-Band Torpus & The Art Directors spielte in Triobesetzung (Gitarre, Schlagzeug) filigranen und feingeistigen Indie-Folk-Pop. Für einen ihrer Songs ließ sie die schwedische Songwriterin von einem Kinderbuch inspirieren, das hat bei der Indie-Pop-Band Belle & Sebastian, die ihren Namen einem französischem Kinderbuch verdankt, bereits bestens funktioniert. Vielleicht treten Felicia Försvann auf ihre Art in die Fußstapfen der schottischen Kultband. An neuen Songs arbeitet Jenny Apelmo fleißig.

Snowfall

Diese Phase haben Snowfall bereits hinter sich, erschien doch am 01.02. das Debütalbum Halfway Devil. Das Publikum beim Tastemaker Festival wurde also Zeuge des Release-Konzertes des Berliner Duos, bestehend aus Sängerin Birte Hanusrichter und Gitarrist Oliver Anders Hendriksson (die Drumparts erbebten auch hier mit Hilfe von elektronischen Hilfsmitteln). Der „Alternative-Pop mit Sex-Appeal“, den Snowfall boten, setzte sich aus einer atemberaubenden Melange aus Rock, Dark Wave, Indie-Pop, Desert-Blues, Mysterious- und Electro-Pop zusammen. Am Ende des Gigs fügten Snowfall noch eine Prise Punk hinzu und schon fühlte man sich in die 70er zurückversetzt. So ähnlich wie bei den letzten beiden Songs muss es bei einem Blondie-Konzert früher auch mal geklungen haben.

MIN t

Der Abschluß des ersten Tages beim Tastemaker Festival blieb MIN t vorbehalten. Die aus Breslau stammende und momentan in Berlin lebende Songwriterin und Produzentin Martyna Kubicz bot hinter ihren Keyboards und Turntables – begleitet von einem Schlagzeuger – eine irre Performance aus Sphären-Techno-Rock samt Rap, Soul und R&B. Kubicz erreichte mit ihrer Darbietung ein enormes Energielevel, das sich auch zu später Stunde auf die tanzenden Gäste übertrug und den perfekten Ausklang des ersten Festival-Tages bot.

Zweiter Tag beim Tastemaker Festival 2019 mit Alles Solar

Hauptstadt-Acts standen zu Beginn des zweiten Abends beim Tastemaker Festival 2019 im Mittelpunkt. Mit „Solar“ und „Mars“ hat die Newcomer-Band Alles Solar erst zwei Singles auf den Markt gebracht. Steht also ganz am Anfang ihrer Karriere und Songwriter Victor Bensmann, Kopf hinter diesem Projekt und am Samstag als Solist in Hamburg unterwegs, besitzt jetzt schon den Charme eines Clueso und die textliche Gewichtigkeit eines Herbert Grönemeyer – ganz davon abgesehen, dass seine Stimmfärbung immer wieder an den „Bochum“-Sänger erinnert. Deutschpop mit Struktur, Herz und Verstand. Potential für einen größeren Markt ist bei Alles Solar vorhanden.

Katja Aujesky

Seit ein paar Jahren wohnt auch die in Wiesbaden geborene Katja Aujesky in Berlin. Begleitet von Judith Rummel an Gitarre, Bass und perkussiven Elementen, war ihr Deutschpop geprägt von tiefer Melancholie sowie bildreichen und poetischen Texten, die Aujesky in kunstvoll arrangierte Kompositionen hüllte. Mit ihrem angenehmen Timbre zog sie schnell die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich, und Songs wie „Der See“, „Waser“ und „Blauer Mond“ sollten zukünftig sehr häufig gehört werden. Vielleicht setzt sich Qualität doch noch durch. Katja Aujesky wäre es zu wünschen.

Travels & Trunks

Mit dem Rock’n’Roll in den Füßen und dem Punk im Herzen ging es anschließend beim Tastemaker Festival 2019 mit Travels & Trunks weiter. Krankheitsbedingt traten die Dortmunder nicht in Bandbesetzung auf, aber dass auch One-Man-Rock’n’Roll-Shows funktionieren, wissen wir nicht erst seit Billy Bragg und Chuck Ragan. Für einige wenige Songs bat Sänger Julius seine Bandkollegin Jenny auf die Bühne, um gemeinsam herzzerreißende Country-Rock-Balladen zu singen, den Rest seines Sets bestritt er allein mit Gitarre und Songs des Travels & Trunks-Debütalbums I Get Along, das Ende September 2018 be Homeband Records erschienen ist. Balladen und Rock’n’Roll für die die Überholspur auf der Autobahn, von Travels & Trunks mit inbrünstiger Stimme und viel Begeisterung gespielt, die sich auf die Gäste im Cascadas übertrug.

Ivy Flindt

Das Debütalbum In Every Move veröffentlichte im August letzten Jahres das Hamburger Duo Ivy Flindt. Beim Tastemaker Festival erzeugten Cate Martin (Gesang, Keyboard) und Micha Holland (Gitarre) zahlreiche Gänsehautmomente, denn der Zauber ihres feinsinnigen Indie-Dream-Folk-Pop berührt zu jedem Zeitpunkt, egal ob von Platte, oder live auf der Bühne. Es verwundert nicht, dass Ivy Flindt ihr Album in Schweden aufnahmen, eine gewisse nordische Schwermut ist den sanften Songs nicht abzusprechen, Vergleiche mit Anna Ternheim und Stina Nordenstam drängen sich auf. Sehr, sehr schöne Musik. Übrigens ist das Album In Every Move neben den bekannten Versionen in einer Deluxe-Fassung erschienen. Ein wunderbarer Hardcover-Band mit Cate Martins auf Vinylgröße zugeschnittenen Malereien, denen die Lyrics gegenübergestellt sind. Ein großartiges Geschenk für alle haptisch veranlagten Musik-Kunst- und Poesie-Freunde.

We Are The Way For The Cosmos To Know Itself

Kurz vor Mitternacht trat dann als letzte Band des Tastemaker Festivals 2019 die dänische Band We Are The Way For The Cosmos To Know Itself auf. Das junge Trio aus Kopenhagen hat sich einen überaus sperrigen Bandnamen ausgesucht, die Kollegen von The xx machten es einem da definitiv leichter. We Are The Way… klangen während ihres Auftritts allerdings wie The xx in der 80er-Glitzer-Pop-Version. Spacig-grooviger Electro-Synthie-Dance-Pop auf Perkussion-Basis samt selbstgebauten Equipments. Einen kurzen technischen Defekt nutzte Sängerin Julie Christiansen, um wieder ein neues deutsches Wort zu lernen. Passenderweise fiel die Wahl auf das vom Publikum vorgeschlagene „Stromausfall“. Im weiteren Verlauf ihres Gigs blieb die Band davon verschont und die Festival-besucher tanzten zu ihrer Musik in den neuen Tag hinein.  

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