Tash Sultana: Terra Firma – Albumreview

Tash Sultana by Ian Laidlaw

Ein beeindruckendes und faszinierendes Stück Musik von Tash Sultana

Tash Sultana sitzt beim Interview mit „Titel Thesen Temperamente“ entspannt vor der Kamera. „Mein Ziel ist es, so viele Instrumente wie möglich zu spielen.“ Und: „Das ist gar nichts besonderes. Jeder kann das lernen. Man muss es nur wirklich wollen.“ Tash Sultana wollte das wohl. Sie spielte(n) jedes Instrument auf ihrem Debütalbum „Flow State“(2018) selbst ein, nicht nur Gitarre, Trompete, Saxophon, Triangel oder sonstwas, sondern bedient auch noch die Loop-Station meisterlich, was sie/ihn dann endgültig zur ein Personen-Band mutieren ließ (die hier gewählten Pronomen resultieren übrigens aus der Tatsache, dass sich Tash Sultana als non-binär begreift). Live funktioniert das respekteinflößend wie erfolgreich, was Sultana zu der einzigen Person bisher machte, die vor der Veröffentlichung ihres Debütalbums drei mal die Brixton Academy in London komplett ausverkaufte.

Die Welt liegt Tash Sultana zu Füßen

Tash Sultana Terra Firma Cover RCA

Auch der Rest der Welt liegt diesem Wesen aus Australien zu Füßen und wartet auf die Tour zu diesem Album, das wie so viele weitere bereits im letzten Jahr hätte erscheinen wie betourt werden können. Doch hat sich die Warterei gelohnt? Sultana selber vergleicht den Entstehungsprozess mit einem „Saucenrezept“, das „langsam gekocht“ werden muss, um zur endgültigen Geschmacksreife zu gelangen. Ob das gelungen ist, vermag ich nach bisher zehnmaligem Hören nicht abschließend zu sagen weil diese Songs mich nicht beim Erstkontakt beeindruckt zurückließen. Im Gegensatz zu denen der EP „Notion“ 2016 mit dem Hit „Jungle“, der seinen viralen Siegeszug aus Sultanas Wohnzimmer heraus durch die Welt startete und dem Verfasser dieser Zeilen Schnappatmung bescherte ob des zwanzigminütigem Instrumentalmassakers von „Big Smoke Pt. 1 & 2“.

Nach und nach offenbarte Tiefenwirkung

Die musikalische Selbstdefinition Sultanas, keinem Genre anzugehören sondern ein eigenes abzubilden: hier ergab es Sinn. Überhaupt, die Gitarrenarbeit, die ebenso auf „Flow State“ in Stücken wie z.B. „Cigarettes“ entzückte: Wo ist sie geblieben? Ist ja toll, wenn mensch hunderte Instrumente beherrscht – wenn jemand so Gitarre spielen kann wie Sultana, sollte der inflationäre Gebrauch einer solchen dann nicht verpflichtend sein? Nein? Schade eigentlich. Wen man sich jedoch vom Schock dieser Erwartung erholt hat, die mehr mit der musikalischen Sozialisation des Rezensenten hier zu tun hat als mit der der Künstler:In, dann bleiben immer noch 14 wunderbare Songs, die ihre Tiefenwirkung erst nach und nach offenbaren und einen nicht sofort erschlagen in den heimischen Plüsch drücken.

Tash Sultana läßt Mitarbeit von außen zu

Überwiegend sehr sommerlich wie unaufgeregt klingend, ließ Sultana auf „Terra Firma“ sogar Mitarbeit von außen zu in Gestalt von dem „Australian Idol“-Zweiten von 2007, Matt Corby, der neben eigenen Arbeiten auch Kollaborationen mit z.B. Julia Stone in seiner Vita hat; Produzent Dann Hume (u.a. Angus & Julia Stone) sowie ihrem Schulfreund Jerome Farah neben Josh Cashman, mit dem sie/er in „Dream My Life Away“ duettiert und, hey, Gitarre spielt. „Ein großer Künstler, der noch zu entdecken ist“ führt Sultana dazu aus. Gitarren sind durchaus öfter zu hören auf dieser Platte, besonders zum Ende hin; sie dominiert in der Regel jedoch genauso wenig wie andere Instrumente auf diesem, zum Teil sehr R&B-lastigem Stück Musik.

Tash Sultanas Dämonen

Ein R&B, der im Vergleich zu den Innovatoren in diesem Genre erstmal recht unspektakulär erscheint. Die besondere und eigene musikalische Sprache Sultanas zeigt sich dagegen in Vollendung bei dem (Gitarren-)Stück „Coma“, bei dem (wie auch in einigen der entspannter wirkenden Songs) textlich durchschimmert, dass auch Sultana mit Dämonen zu kämpfen hat. „Blame it on Society“ seufzt sie/er einen Song später und hält jedem, der Erwartungen an sie/ihn stellt ein Stoppschild entgegen. Bitte hiermit um Verzeihung. Erwartungsfrei ist „Terra Firma“, das wird von Hören zu Hören deutlicher, letztendlich ein beeindruckendes wie faszinierendes Stück Musik.

„Terra Firma“ von Tash Sultana erscheint am 19.02.2021 bei RCA / Sony Music. (Beitragsbild von Ian Laidlow)

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