Taj Mahal & Ry Cooder: Get On Board

Taj Mahal & Ry Cooder Credits Abby Ross

Taj Mahal & Ry Cooder covern auf „Get On Board“ Blues-Songs von Sonny Terry und Brownie McGhee

Im Mississippi Delta – nicht dem tatsächlichen Flussdelta, sondern der Region im US-Bundesstaat Mississippi – ist das Land noch immer flach, die Luft noch immer staubtrocken und die Baumwollfelder nehmen noch immer kein Ende. Und wenn man aufmerksam in dieser Gegend unterwegs ist, kann man auch sie ab und an noch entdecken: Jene kleinen Musikkneipen, Juke Joints genannt, die oft genug eher wie bloße Wellblechschuppen oder schiefe Holzverschläge aussehen und auf den ersten Blick ebensowenig einladend wirken wie die kantigen, vierschrötigen Gesichter der Leute, die sich an den Samstagabenden davor tummeln.

Und doch, da beißt das Klischee keinen Faden ab, klingt der Blues nirgendwo so gut wie in diesen Kaschemmen. Jeder, der sich so glücklich schätzen darf, einmal die eigene Hand flach an die Außenwand eines solchen Juke Joints gelegt und dabei die Musik gespürt zu haben, wirklich gespürt zu haben, wie sie alles in dem Schuppen zum Leben bringt, das Leben feiert, bis in die dünnen, schon immer renovierungsbedürftigen Wände hinein, der geht fürderhin anders durchs Leben.

Taj Mahal und Ry Cooder werden von Joachim Cooder begleitet

Taj Mahal & Ry Cooder Get On Board Cover Nonesuch Records

Schon bei den ersten Takten von „My Baby Done Changed The Lock On The Door“, der Eröffnungsnummer von „Get On Board“, drängt sich dem Lauschenden unweigerlich der Eindruck auf, in einer ebensolchen Kneipe gelandet zu sein. Zugleich gibt der Song den Ton der gesamten Platte vor: rau, unbehauen und handgemacht. Taj Mahals Stimme prescht voran wie eh und je, voluminös, wuchtig und vor allem eines: präsent. Der inzwischen bald 80-jährige und (nicht nur stimmlich) hünenhafte Bluesmann war auf seinen letzten Aufnahmen musikalisch vorzugsweise in seiner Wahlheimat Hawaii unterwegs.

Nun ist er zurückgekehrt in den Sound des tiefen, sumpfigen und schwülen Südens. Er spielt zusammen mit dem nimmermüden Musikologen Ry Cooder – übrigens nur fünf Jahre jünger als Taj – und dessen Sohn Joachim Cooder, der die beiden am Schlagzeug und Bass begleitet. Mit einer herrlichen, schier aberwitzigen Spielfreude rumpelt sich das Trio durch die Songs von Sonny Terry und Brownie McGhee, ihres Zeichens selbst legendäre Bluesmänner vergangener Zeiten.

Mahal und Cooder preschen durch „The Midnight Special“

Eine der großen Perlen im Repertoire von Terry/McGhee ist das vor allem durch Lead Bellys Aufnahme (und später natürlich durch CCR) berühmt gewordene „The Midnight Special“ – einer der wohl poetischsten Songs, die je über Züge geschrieben wurden. Taj Mahal und Ry Cooder preschen polternd durch das Stück, wie eine Dampflock auf voller Strecke, so gar nicht, wie man sich zwei Senioren an der Gitarre vorstellen würde. Und in „Deep Sea Diver“ zieht Taj Mahal mal wieder – und er kann das noch immer fabelhaft – mit hörbarem Genuss alle Register des anzüglichen Blues-Gesangs.

Das Album endet mit dem alten Gospel-Stück „I Shall Not Be Moved“, eine der wenigen bedächtigen Nummern. Es ist beeindruckend, wie es den beiden alten Haudegen dabei gelingt, so mühelos den Schritt von der frühmorgendlichen Kneipenatmosphäre in eine melancholische Daseinsreflexion zu tun. Aber jeder, der schon einmal im Mississippi Delta war, weiß: Die Juke Joints stehen eben nie weit entfernt von der nächsten Kirche.

Walter Benjamin und die Blues-Erzähltradition

Manch einer mag nun fragen, ob es denn wirklich nochmal so etwas braucht: Eine Platte voller Stücke, die von schon lange toten Blues-Musikern stammen und nun von noch lebenden, aber doch auch schon in die Jahre gekommenen Blues-Musikern eingespielt werden. Die Antwort lautet klar: Ja! Obwohl Walter Benjamin (meines Wissens) keine sonderliche Affinität zum Blues pflegte, hat er in seinem Essay „Der Erzähler“ doch einen hierfür zentralen Gedanken auf den Punkt gebracht: Denn der Erzähler ist für Benjamin im klassischen Sinn einer, „der Rat weiß“, und zwar auf die wichtigen Fragen des Lebens.

Genau so ist es mit den alten Blues-Nummern: Hier ging es immer schon um das Tradieren, das Weitergeben der Geschichten, die sich um das Wesentliche drehen – um Freiheit, Gott, den Tod, die Liebe und den Whiskey. Und das Erzählen, weiß Benjamin, lebt davon, dass es wieder und wieder, und dabei immer aufs Neue erzählt wird. Genau das tun Ry Cooder und Taj Mahal, die beide als junge Männer Sonny Terry und Brownie McGhee noch persönlich erlebt haben: Sie erzählen. Und wie.

„Get On Board“ von Taj Mahal & Ry Cooder erscheint am 22.04.2022 bei Nonesuch / Warner Music. (Beitragsbild von Abby Ross)

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