Szczepan Twardoch: Demut

Szczepan Twardoch Demut Cover Rowohlt Berlin

Der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch fasziniert auch mit seinem fünften, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg angesiedelten Roman „Demut“

Die bisher vier, jeweils von Olaf Kühl ausgezeichnet ins Deutsche übersetzten, und alle von Sounds & Books rezensierten Romane Szczepan Twardochs, „Morphin“, „Drach“, „Der Boxer“ und „Das schwarze Königreich“, sind spektakuläre Prosawerke, die die schlesisch-polnisch-deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts thematisieren. Stets betrachtet der polnische Schriftsteller Einzelschicksale in außergewöhnlichen, oder zumindest schwierigen Zeiten. Diesem Ansinnen bleibt Szczepan Twardoch in seinem neuen Roman „Demut“ treu und schildert die Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg, die seinen Protagonisten Alois Pokora von den Schützengräbern Flanderns, über Berlin in die oberschlesische Heimat treiben.

Stürmische Zeiten

Szczepan Twardoch Demut Cover Rowohlt Berlin

Agnes heißt seine große, mithin ungesunde Obsession. Bereits in der Schulzeit hat sich der aus einer einfachen Bergarbeiterfamilie stammende Pokora in die Bürgerstochter verliebt. Der Wunsch, seine ein paar Jahre ältere und verheiratete Angebetete wiederzusehen hält ihn am Leben während des 1. Weltkriegs, für den er sich freiwillig gemeldet hat. Der Ich-Erzähler in Szczepan Twardochs neuem Roman spricht Agens immer wieder direkt an. Seine im Alter von 30 Jahren verfasste Lebensgeschichte erscheint mitunter wie ein langer Brief an das Objekt der Begierde. Mit Hilfe des Dorfpfarrers entkam er dem typischen Bergmannschicksal seiner zehn Brüder und durfte als einziger ans Gymnasium in Gleiwitz und später zum Philosophie-Studium nach Breslau.

Hoch dekoriert, aber verwundet wacht Pokora (polnisch „Demut“) am Ende des Krieges in einem Berliner Krankenhaus auf. Er schließt sich einer von Schwulen geleiteten Spartakusgruppe an, findet sich in den Wirren der Novemberrevolution wieder, trifft Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, entgeht nur knapp einem Erschießungskommando und kehrt in die oberschlesische Heimat zurück, wo er eine  Familie gründet, ein bürgerliches Leben führt, zwischen die Fronten von deutschen und polnischen Nationalisten sowie einer nach der Unabhängigkeit Oberschlesiens trachtenden politischen Bewegung gerät, bis er Agnes wiedersieht und sein bisheriges Leben für einen hohen Preis aufgibt.

Szczepan Twardoch: Star der polnischen Literaturszene

Auch mit seinem neuen Roman begibt sich Szczepan Twardoch – Star der zeitgenössischen polnischen Literaturszene – auf einen, zum zweiten Mal nach „Drach“, in Gleiwitz angesiedelten, historischen Streifzug. Im gewohnt kühnen Tempo erzählt der 1979 geborene Autor das Leben eines an sich selbst zweifelnden, seiner Herkunft entwurzelten Anti-Helden in chaotischen Umbruchszeiten. Alois Pokora ist ein von in frühen Jahren erlittenen Verletzungen getriebener, nach der eigenen Identität suchender und in sadomasoschistischen Phantasien aufgehender Protagonist. Einmal mehr sind die plastischen Figurenzeichnungen sowie das detaillierte wie atemberaubende Eintauchen in die deutsch-polnische Geschichte die treibenden Kräfte Twardochs zwischen intellektueller Neugier, Effekthascherei und leidenschaftlichen Sinn für die Sprache changierenden, nach wie vor kompromisslosen und mitreißenden Literatur.

Szczepan Twardoch: „Demut“, Rowohlt Berlin, aus dem Polnischen von Olaf Kühl, Hardcover, 464 Seiten, 978-3-7371-0121-9, 25 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)  

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