In seinem neuen Roman „Das schwarze Königreich“ taucht Szczepan Twardoch in das besetzte Warschau des 2. Weltkriegs ein
Mit seinem neuen Buch „Das schwarze Königreich“ knüpft Szczepan Twardoch an seinen vor zwei Jahren erschienenen und ebenfalls bei Sounds & Books rezensierten Roman „Der Boxer“ an. Der polnische Schriftsteller, dessen großartige Prosawerke „Morphin“ und „Drach“ überdies in deutscher Übersetzung vorliegen, erzählt über die Zeit der Besatzung Warschaus durch deutsche Truppen im 2. Weltkrieg. Trotz einer Fortsetzung kann man „Das schwarze Königreich“ ohne Kenntnisse des Vorgängerromans jederzeit als solitäre Lektüre lesen.
Szczepan Twardoch lässt zwei allwissende Erzähler aus dem „Hiermals“ berichten
Mit Ryfka und David wählt der preisgekrönte Autor zwei aus „Der Boxer“ bekannte Figuren zu seinen Erzählstimmen. Sie erzählen von der damaligen Zeit aus dem „Hiermals“, oder auch „Grau“ genannt, ein Synonym vielleicht für das Jenseits, vielleicht für eine Art Vorhölle, wo die Erinnerung bleibt und nichts in Vergessenheit gerät. Beide sind auf jeden Fall allwissende Erzähler, die in abwechselnden Monologen die Geschichte schildern. Im Mittelpunkt steht letztendlich immer noch Jakub Shapiro, der im Vorkriegs-Warschau als Boxer und König der Halb- und Unterwelt zu einer zwielichtigen Berühmtheit aufstieg. Von seiner einstigen Größe und seinem einstigen Glanz ist 1944 nichts mehr übrig. Shapiro als gebrochener Mann, ein Schatten seiner selbst. Krank, apathisch, aber irgendwie noch am Leben. Gepflegt, gehegt, versteckt und über die Runden gebracht von Ryfka, seiner einstigen Geliebten, der ehemaligen Prostituierten und Bordellbesitzerin.
Die große Liebe
Für Ryfka war Shapiro immer die große und einzige Liebe, auch nachdem er mit Emilia eine Familie gründete. Eine Art Hassliebe verbindet sie mit Shapiro, der wieder bei ihr auftauchte, nachdem sich seine Familie von ihm trennte. Zu Beginn des Krieges kämpfte Jakub Shapiro noch an der Front, um sein geliebtes Warschau zu verteidigen. Nach der schnellen Niederlage zerschlug sich sein eigenes Königreich und er fand sich wenig später als Jüdischer Ordnungspolizist im Ghetto wieder. Ein weiterer Schlag ins Kontor seines Selbstwertgefühls. Während es Ryfka vorbehalten bleibt, vom Ende der Besatzungszeit zu erzählen, berichtet Shapiros Teenager-Sohn David von der Zeit des familiären Niedergangs.
Parallele Erzählstränge
Auch Davids Beziehung zu seinem Vater leitet sich von einer Hassliebe ab. Häufig spricht er von ihm als einen „bösen Menschen“, den er umzubringen trachtet. Er fühlt sich von seinem Vater verraten. Weil dieser vor dem Krieg das Flugzeug, das seine Familie nach Palästina bringen sollte, in der Luft zur Umkehr zwang. Weil sein Vater nicht anwesend war am Umschlagplatz, als seine Mutter, sein Bruder und er nach Treblinka deportiert worden sind. Als einzigem gelang David die Flucht aus dem Zug in den sicheren Tod. Die parallelen Erzählstränge Ryfkas und Davids finden am Ende zusammen.
Szczepan Twardoch und die polnische Geschichte
Den unterschiedlichen Perspektiven schenkt Szczepan Twardoch indes seinen aus früheren Werken bekannten kompromisslosen, leidenschaftlichen und ungezügelten, jederzeit fesselnden und mitreißenden Schreibstil. Ein vortrefflicher Roman über Schuld und Sühne. Ein Roman, der die Zeit des 2. Weltkriegs für eine Bestandsaufnahme und Auseinandersetzung der schwierigen Beziehung zwischen polnischen Nationalisten, polnischen Juden und Schlesiern nutzt. Szczepan Twardoch erhebt auch mit „Das schwarze Königreich“ den Anspruch, einer der interessantesten, zeitgenössischen Autoren zu sein.
Szczepan Twardoch: „Das schwarze Königreich“, Rowohlt Berlin, übersetzt von Olaf Kühl, Hardcover, 416 Seiten, 978-3-7371-0073-1, 24 Euro. (Beitragsbild von Zuza Krajewska)
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