Die Vorschusslorbeeren waren nicht übertrieben: Susan O’Neill erweist sich auf Anhieb als eine der spannendsten Musikerinnen aus Irland. Vor allem ihre Stimme ist eine Wucht.
von Werner Herpell
Noch vor ihrem nun endlich erschienenen „echten“ Debütalbum wurde die irische Singer-Songwriterin Susan O’Neill bei Sounds & Books zur großen Nummer. Man kam ja auch kaum drum herum, diese recht unbekannte Musikerin als „Top-Entdeckung des diesjährigen Festivals“ beim „Heimspiel Knyphausen“ im schönen Rheingau Ende Juli hervorzuheben. Nicht nur lieferte O’Neill mit Gitarre, Trompete und ihrer grandiosen, schön angerauten Stimme, begleitet nur von einem Keyboarder, einen super Auftritt ab – sie begleitete später auch noch den Top-Act Calexico bei Neil Youngs Klassiker „Heart Of Gold“ so herzergreifend, dass sogar im strömenden Regen dieses denkwürdigen Konzertabends gefühlt die Sonne aufging.
Umwerfende Vocals
Jetzt ist also „Now In A Minute“ da, die mit Spannung erwartete erste Solo-Scheibe von Susan O’Neill (34) unter eigenem Namen. Zuvor waren 2018 eine Platte als SON, das Kollaborations-Werk „In The Game“ mit Mick Flannery, das 2021 zum meistverkauften Indie-Album in Irland avancierte und für mehrere wichtige Musikpreise nominiert war, sowie die EP „Now You See It“ erschienen. Und, hat sich das Warten gelohnt? Auf jeden Fall – wenn man akzeptiert, dass diese umwerfende Stimme den besonderen Charme der zwölf Lieder ausmacht, während beim Songwriting noch etwas Luft nach oben ist. Aber hallo, Joni Mitchell hat mit „Song To A Seagull“ 1968 auch noch nicht ihre einsame Klasse erreicht, und bei Carole King ging das unscheinbarere „Writer“ 1970 dem Meisterwerk und Mega-Seller „Tapestry“ von 1971 voraus.
Dass Susan O’Neill ein Riesentalent ist und eine der spannendsten irischen Musikerinnen derzeit, macht „Now In A Minute“ jedenfalls schon mehr als deutlich. Die Songs sind meist eher sparsam instrumentiert, was ihre Vocals so richtig glänzen lässt („Hail“, „Sign Of The Times“, „Too Many Ways“, „Malachi“), gelegentlich aber auch mit kernigen Gitarren („Drive“, „Everyone’s Blind“, „Rewire“). Selbst wenn sich die Lieder in Stimmung, Atmosphäre und Tempo ein wenig ähneln, hört man diesem Gesang doch stets beeindruckt zu: sensibel und melancholisch, kraftvoll und im gesunden Maße „gritty“ (also zum Glück nicht so aufgesetzt ruppig wie bei einer Bonnie Tyler). Und ein feierliches Trompeten-Arrangement wie im Album-Highlight „Tijuana“ ist auch keine Selbstverständlichkeit.
Susan O’Neill geht’s um das Gefühl
Dass O’Neill letztlich noch etwas tastend zwischen Folk, Soul, Blues, Jazz, Gospel und Indie-Rock unterwegs ist, tut der Faszination keinen Abbruch. Denn irgendwie gehört die stilistische Offenheit für sie auch dazu: „Ich liebe es, alle möglichen Genres zu singen“, sagte Susan O’Neill am Rande von „Heimspiel Knyphausen“ dem geschätzten Kollegen Ullrich Maurer. „Wenn ich singe, dann versuche ich nicht zu sehr über die Töne nachzudenken, sondern über das Gefühl, das ich vermitteln möchte.“ (Siehe Interview bei Westzeit) Dies schafft die Irin aus dem kleinen Ort Ennis mit ihrem feinen neuen Album hundertprozentig. Live nachzuhören demnächst, nach starken Supports für Calexico und Jamie Cullum im Sommer, bei ihrer ersten Headliner-Auftritten Ende November: 23.11.2024 Prachtwerk, Berlin; 24.11.2024 Hebebühne, Hamburg; 25.11.2024 KGB, Langenberg; 26.11.2024 Blue Shell, Köln; 28.11.2024 Live/Exil, München.
Das Album „Now In A Minute“ von Susan O’Neill erscheint am 20.09.2024 bei Star House Collective. (Beitragsbild von Myriam Riand)