Sufjan Stevens: Javelin

Sufjan Stevens credit Courtesy of Sufjan Stevens

Bei Sufjan Stevens weiß man nie, was als nächstes kommt. Mit „Javelin“ kehrt er zum Singer-Songwriter-Pop zurück – und wie.

von Werner Herpell

Zwischen zartestem Folk, Neoklassik mit New-Age-Anklängen, zickiger Electropop-Avantgarde und perfekt durcharrangiertem Singer-Songwriter-Stoff muss man im Falle von Sufjan Stevens bei jedem neuen Album mit allem rechnen. Der 48-Jährige aus Detroit/Michigan gehört zu den großen Individualisten des Indiepop der vergangenen 25 Jahre, sein Werk gleicht einer Wundertüte. Aus der hat er mit „Javelin“ nun eine seiner schönsten Songsammlungen gezaubert.

Triumphaler Wohlklang

Es sind tatsächlich diesmal wieder ganz

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fabelhafte, ausgereifte Songs voller melodischer Höhepunkte und bewegender Stimmungen, die Stevens vor dem verzückten Hörer ausbreitet. In der Tradition seiner frühen Folkpop-Highlights „Michigan“ (2003), „Seven Swans“ (2004) und „Illinois“ (2005), mehr aber noch im Gefolge des tiefgründigen Singer-Songwriter-Geniestreichs „Carrie & Lowell“ (2015) schwelgt der Sänger mit der fragilen Flüsterstimme im triumphalen Wohlklang, der nur ganz selten die Kitschgrenze streift.

Mit „Goodbye Evergreen“ und „A Running Start“ hat Stevens zwei der besten Songs seiner Karriere an den Anfang von „Javelin“ gesetzt. Wie der Multiinstrumentalist hier nach zunächst reduzierten, sehr intimen Akustik-Intros mit immer mehr Instrumenten und Chören seine gewaltigen Klang-Kathedralen baut, ist wirklich hohe Kunst. Klar, man sollte schon ein Faible für so viel Mut zum Bombast haben – dann aber steht dem Hochgenuss nichts mehr im Wege.

Songs wie Gebete von Sufjan Stevens

Wie die Familiengeschichte von „Carrie & Lowell“ ist „Javelin“ textlich ein sehr persönliches Album geworden. Lieder wie „Will Anybody Ever Love Me?“ oder „So You Are Tired“ klingen wie intensive Gebete oder doch zumindest sehr anrührende Bekenntnisse. Überhaupt hat Sufjan Stevens hier wieder mal ein von seiner Persönlichkeit komplett durchdrungenes, echtes Solo-Werk geschaffen. 

Fast jeden Ton erzeugte er zuhause, man mag es kaum glauben angesichts der prachtvollen Opulenz dieser zehn Lieder (von denen das letzte eine wunderbare Coverversion von Neil Youngs „There’s A World“ ist). Fremdbeiträge stammen lediglich von einem engen Freundeskreis – von Adrienne Maree Brown, Hannah Cohen, Pauline Delassus, Megan Lui und Nedelle Torrisi, die die prägnanten Chor-Vocals beisteuern, sowie vom unermüdlichen Bryce Dessner (The National), der bei „Shit Talk“ Gitarre spielt. Das Ergebnis ist ein neuer Höhepunkt in einem ohnehin schon beeindruckenden Albumkatalog.

„Javelin“ von Sufjan Stevens erscheint am 06.10.2023 bei Asthmatic Kitty/Cargo. (Beitragsbild-Credit: Courtesy of Sufjan Stevens)

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