Beindruckend frisch und visionär: Zum 40. Jahrestag der Bandauflösung werden alle vier Spliff-Alben als hochwertige Pressungen auf Vinyl wiederveröffentlicht
von Sebastian Meißner
Als Lok Kreuzberg hatten sie sich schon Mitte der 1970er Jahre einen Namen gemacht. Später als Nina Hagen Band klopften sie sogar in Amerika an. Doch Schlagzeuger Herwig Mitteregger, Keyboarder Reinhold Heil, Gitarrist Bernhard Potschka und der Bassist und Sänger Manfred Pracker wollten ihr eigenes Ding machen. Und so starteten sie ohne Frontfrau und unter dem Namen Spliff durch. Es war eine folgenschwere Entscheidung. Denn obwohl die Band gerade einmal fünf Jahre lang existierte, hallt das, was die Berliner zwischen 1980 bis 1985 auf die Beine stellten, bis heute nach.
Vier Alben nahmen sie auf, darauf Hits wie „Herzlichen Glückwunsch“, „Heut Nacht“, „Das Blech“, „Déja Vu“, „Radio“ und natürlich das übergroße „Carbonara“. Vor allem aber schufen Spliff einen Sound, der bis heute alleinstehend ist. Der Virtuosität und Spielfreude, Experimentierfreudigkeit und Drive kombiniert. Und der sich aus klassischem Rock, Punk, Pop, Funk und Jazz speist und das Leben und die Atmosphäre im Berlin dieser Zeit zwischen Aufbruch und Resignation ungeschminkt einfängt.
Vertonte Revue
Im nächsten Jahr wird das erste Spliff-Album 45, das letzte Album „Schwarz auf Weiß“ 40 Jahre alt. Anlass genug, das Werk dieser extrem talentierten und ambitionierten Band mal wieder aufzulegen. Sony veröffentlicht zum Jubiläum alle fünf Platten in hochwertigen Pressungen auf Vinyl wieder. Zudem sind die Alben endlich auch bei allen Streaming-Diensten verfügbar. Nähert man sich dem Output chronologisch und startet folglich mit dem Debüt „The Spliff Radio Show“, wird schnell deutlich, wie wenig gealtert diese Musik ist. Die vertonte Kurzversion einer Revue, in der es um das Musikgeschäft allgemein und den fiktiven Musiker Rocko J. Fonzo im Speziellen geht, klingt bemerkenswert modern und deutet schon vieles von dem an, was später folgen sollte. „Disco Kaine“ ist die düstere Abrechnung mit dem angesagten Clubsound der Zeit, „Baby I’m Bored“ klingt nach Iggy Pop, „Gooroo“ hat Zappa-Parallelen.
Der lang ersehnte Durchbruch
Der Durchbruch gelang Spliff dann zwei Jahre später mit dem Album „85555„, benannt nach der Bestellnummer des Albums. Das von Praeker gesungene „Heut‘ Nacht“ machte die Band einem breiteren (auch NDW)-Publikum bekannt. „Déjà Vu“ ist bis heute eine Blaupause für die fruchtbare Verschmelzung von Synthie-Drums und harten Gitarren. Und die Bedeutung von „Carbonara“ muss man nicht weiter erläutern. Die englischsprachige Version des Albums erschien im selben Jahr unter dem Titel „Emergency Exit“. Das Album ist hier im Design der Amerikanischen Veröffentlichung verpackt, die von der Band immer schon bevorzugt wurde.
Album No. 4 „Herzlichen Glückwunsch“ erschien im nächsten Jahr und hält – wenn auch mit etwas Mühe – das hohe Niveau seines Vorgängers. Mit „Das Blech“, einem der ersten deutschsprachigen Raps, ist auch hier ein veritabler Hit vertreten. Vor allem aber merkt man Spliff den Kampf gegen jedes Korsett an, die federführende Neugierde und die Bereitschaft, permanent ins Risiko zu gehen. „Schwarz auf Weiß“ von 1984 bildet den Abschluss und zeigt eine Band, die trotz interner Unruhe und sich bereitmachender Müdigkeit noch immer in der Lage ist, Großes zu zeigen. „Rand der Welt“ treibt das „In The Air Tonight“-Drumfill von Phil Collins auf die Spitze und wartet insgesamt mit stilleren, dafür teilweise umso berührenderen Momenten auf.
Spliff erfinden sich neu
In Summe sind diese vier Alben ein beeindruckendes Zeugnis einer Band im permanenten Wandel. Der ambitionierte Aufstieg, die lichterlohe Explosion, der gnadenlose Untergang – alles verpackt in knapp 40 Songs. Dass eine Band, die sich ständig neu erfindet, nicht nur Hochkaräter produziert, ist klar. Die Anzahl an Treffern auf diesen vier Alben ist jedoch beeindruckend. Und während andere Musik aus dieser Zeit an Glanz verloren hat, ist bei Spliff eher das Gegenteil der Fall. „Jeder von uns ist sicher stolz auf die Spliff-Zeit und die anderthalb Jahre davor mit Nina Hagen. Wir hatten insgesamt eine Menge Kämpfe durchzustehen und ein paarmal mussten wir uns neu erfinden“, erzählt Mitteregger im interview mit Sounds & Books. Jetzt ist der Moment, mal wieder Spliff aufzulegen.
„The Spliff Radio Show“ und alle anderen Alben von Spliff erscheinen am 22.11.2024 bei Sony Music. (Beitragsbild: Spliff, „Schwarz auf Weiß“, Inslave)