Über ihr Leben zwischen Beruf und Berufung erzählt die Songwriterin Sophie Chassée im Sounds & Books-Interview über ihr neues Album „Attachement Theory“
Interview von Ullrich Maurer
Es ist ja fast schon ein bisschen tragisch, dass Sophie Chassée als Songwriterin und Solo-Künstlerin – auch mit ihrer nun vorliegenden fünften LP „Attachement Theory“ – immer noch erklärt und vorgestellt werden muss, während sie doch als Bassistin von u.a. Alli Neumann, Rae Garvey oder zuletzt Annenmaykantereit einer größeren Öffentlichkeit eigentlich schon längste bekannt ist. Das mag aber vielleicht auch daran liegen, dass sich Sophie ein recht spezielles musikalisches Aufgabengebiet zu eigen gemacht hat – nämlich die Gitarrentechnik „Modern Acoustic Fingerstyle“. Das ist dann kein Musik-Genre, sondern bezeichnet die Art, in der die akustische Gitarre mit den Fingern (statt mit einem Plektrum) angeschlagen bzw. gedämpft und perkussiv bearbeitet wird – ohne dabei besonderen Wert auf Akkorde im klassischen Sinne gelegt wird.
Logischerweise eignet sich diese Technik, um sich in bluesiger, folkiger und (aufgrund des virtuosen Charakters) jazziger Manier zu äußern. Während es auf den ersten vier Alben Chassées – „Initiation“, „New Chapters“, „Progress“,und „Lesson Learned“ um die Vervollkommnung eben jener Technik unter ihrem Credo „Play The Music Not The Instrument“ ging, kommt auf dem neuen Album noch ein für Sophie Chassée neuer, persönlicher, erzählerischer Charakter das Songwriting betreffend hinzu. Grund genug, bei ihr ein mal nachzufragen, was denn diesen inhaltlichen Sinneswandel ausgelöst haben mag.
Sophie Chassée rechnet ab
Seit Deinem letzten Album „Lesson Learned“, das bereits 2021 erschien, ist ja eine lange Zeit ins Land gegangen, in dem sich auch für Dich viel getan hat. Insbesondere Dein Engagement als Bassistin bei Annenmaykantereit hat ja sicherlich viel Zeit in Anspruch genommen. Die Tour zu der letzten Scheibe hat dann ja zum Beispiel auch erst im Mai letzten Jahres stattgefunden. Wann hattest Du denn Zeit, das neue Album anzugehen?
Sophie Chassée: Nach ebendieser Tour – das war dann auch die Phase zu der ich diese Herzschmerz-Songs auf dem neuen Album geschrieben habe. Ich hatte in dieser Zeit einfach eine böse Trennung hinter mir. Die Person hat sich halt einfach vom Acker gemacht – und das neue Album ist jetzt ein bisschen mein Abrechnungs-Album.
Es geht auf dem Album aber noch nicht nur um Trennungsgeschichten. Hast Du dann die Chance genutzt, gleich alle persönlichen Themen abzuräumen?
Sophie: Ja den ersten Song „What Fathers Do“ hatte ich schon vorher über meinen Vater geschrieben – und das ist ja auch eine Art Abrechnung – und das Instrumental „The Last Journey Of The Wren“ habe ich für meine Großmutter geschrieben, die ich sehr gemocht habe und die einen Zaunkönig in ihrem Garten immer sehr geliebt hat. Ich habe mir ja auch einen Zaunkönig auf den Arm tätowieren lassen und einen auf dem Griffbrett meiner Gitarre. Den Song „Stars“ habe ich schon mit 14 geschrieben – und den habe ich noch mit auf das Album genommen, weil ich ihn einfach zu gut fand, um ihn irgendwo verstauben zu lassen.
„Stars“, in dem Du ja auch im wörtlichen Sinne zu den Sternen aufschaust, ist ja auch vielleicht das lebensbejahendste Stück auf dem Album. Danach wird es dann aber doch etwas heftiger, oder? Songtitel wie „Bury You Alive“ oder „Don’t Give A Fuck“ legen das jedenfalls nahe.
Sophie: Ja – Stars ist positiv und auch ein wenig upbeat – danach geht es mit dem Abrechnen mit „Dear Marie“ los und die Geschichte endet dann mit „What I’m Not“. Der letzte Titel des Albums „Fleeting“ ist dann vielleicht kein richtiger Abschluss – aber es geht darin darum, dass eben alles irgendwie vergänglich ist – eben auch Herzschmerz – aber auch die persönlichen Sachen, wie die Oma, die man liebt, die aber dann doch irgendwann stirbt.
Musik als Autotherapie
Das deutet darauf hin, dass Du mit Deiner Musik Dein Leben verarbeitest. Hat Dir denn das Album in therapeutischer Hinsicht genutzt?
Sophie: Ja total. Nachdem ich das Album fertiggestellt hatte, war ich dann auch über die Trennung weg.
Was bedeutet Dir die Musik überhaupt im täglichen Leben?
Sophie: Musik ist für mich ein krasses emotionales Ventil – und immer auch schon gewesen. Wenn ich Musik mache, dann habe ich das Gefühl, dass wenn ich Musik mache frei in dem bin, was ich sein kann und sein will. Ich bin dann in so einem Tunnel und das hat dann fast schon eine meditative Wirkung. Das ist dann immer auch schon mein ‚Safe Space‘, den ich nicht genauer beschreiben kann. Es ist einfach ein Gefühl von Freiheit. Ein spirituelles Moment ist sicher auch dabei.
Das steht aber doch sicherlich in krassem Gegenteil zu den „Brot-Jobs“ als Session-Musikerin, oder?
Sophie: Ich sage mir immer, dass es eine sehr gute Balance ist, dadurch dass ich mein Solo-Projekt habe – was ja viele professionelle Musiker gar nicht haben. Ich habe dann meine Dienstleistungsjobs bei Blumengarten oder Annenmaykantereit und was weiß ich nicht – aber ich komme immer wieder zurück zu meinem ‚ich‘ – sag‘ ich mal – und das ist für mich dann ausgeglichen.
Zwischen Beruf und Berufung
Die Session-Jobs sind ja eher Beruf, während Deine kreative Arbeit Berufung ist. Ist es vielleicht dann auch so, dass das Eine das Andere befruchtet?
Sophie: Ja, total. Man will ja immer das, was man nicht haben kann. Wenn ich mit Annenmaykantereit auf Tour bin, dann genieße ich das total – aber dann denke ich mir irgendwann, dass ich auch mal wieder Bock auf eine Solo-Show hätte. Zur Zeit spielen wir mit Annenmaykantereit ja gar nicht – und nun hätte ich auch wieder Bock mit denen zu spielen. Das klingt jetzt vielleicht schizophren, aber es sind ja auch zwei Persönlichkeiten, die da zum Vorschein kommen, weil man in beiden Bereichen andere Rollen bedient. Und da lebt man dann auch verschiedene Persönlichkeiten aus.
Ja – aber um noch mal auf das Befruchten zurückzukommen …
Sophie: Wir haben zusammen auch schon mal eine Interlude für Annenmaykantereit geschrieben, um einen Sophie-Touch da rein zu bringen und ich wurde auch gebeten, dafür Akustik-Gitarre zu spielen – aber im Grunde befruchtet sich das eher hinter den Kulissen, indem dann Annenmaykantereit-Fans zu meinen Konzerten kommen oder umgekehrt Leute, die mich vor 20 Zuschauern gesehen haben dann auch mal ins Stadion kommen.
Kommen wir mal zurück zum aktuellen Album: Was ist denn hier neu?
Sophie: Ich habe festgestellt, dass ich zwar bekannt bin in der Fingerstyle-Szene – was ja auch gut ist. Dann habe ich aber auch festgestellt, dass ich immer sehr darauf geachtet habe, was andere von mir denken. Ich bin also diese Fingerstyle-Gitarristin – ich weiß aber auch, dass ich gut singen kann und dass ich Songs schreiben kann und dass ich mich selber auch als Songwriterin betitele. Ich wollte das endlich auch ein Mal in einem Album widerspiegeln. „Dear Marie“ etwa ist ja kein krasser Fingerstyle-Song, der seine Geschichte nicht durch die Technik, sondern den Text und den Gesang erzählt.
Mit welchem Anspruch siehst Du Dich denn als Texterin?
Sophie: Das kommt natürlich auf den Song an. Als ich „What Fathers Do“ geschrieben habe, wusste ich, dass sich sehr viele Leute damit identifizieren können, denn Väter, die sich aus dem Staub machen, gibt es ja leider sehr viele. Die Texte und die Emotionen die ich darin verarbeite, sind hingegen in erster Linie für mich. Das ist für mich eine Art Selbsttherapie.
Wenn Du die neuen Songs dann jeden Abend vorträgst: Musst Du dann diese Szenarien nicht auch jeden Abend neu durchleben – oder hast Du durch die Songs damit abgeschlossen?‘
Sophie: Eher letzteres. Ein paar dieser Songs spiele ich ja schon live und ich merke einfach, dass das auch gut tut und ich da jetzt über diesen Themen stehe . Wie bei jedem Album, ist auch dieses eine Bestandsaufnahme der Zeit, auf die ich mich beziehe.
Sophie Chassée auf der Suche nach dem Fokus
Und was beeinflusst Dich auf der musikalischen Ebene? Gab es denn musikalische Inspirationen (jenseits der Fingerstyle-Technik), die sich motivierend ausgewirkt haben könnten?
Sophie: Ja klar. Das habe ich bei dem Album auch bewusst sehr viel gemacht. Ich habe eine Playlist mit Sounds erstellt und dann dem Produzenten gesagt, dass der Song so und so klingen solle. Das reichte von Holly Humberstone über Charlie Puth bis John Mayer. Es war eine bunte Mischung. Ich schaue aber erst mal, worauf der Fokus liegt. Möchte ich die Emotionen über die Musik oder den Text transportieren, bevor ich mich für etwas entscheide. Das beste Beispiel dafür ist der Song „Dear Marie“, bei dem auf der Gitarre nicht so viel passiert, bei dem aber deutlich wird, dass ich einen Brief an die besungene Person vorlese und die Gitarre die Stimmung nur unterstützt.
Die Stimmung unterstützt haben ja auch die Streicher, die Du auf der Scheibe erstmals einsetzt.
Sophie: Ja, das war immer schon ein Traum von mir, Streicher auf dem Album zu haben. Die habe ich auch ganz bewusst zum Beispiel bei ‚Memories Of You‘ als Ergänzung zu dem Zaunkönig-Song „Last Journey Of The Wren“ eingesetzt. Da gibt es nämlich ein Cello-Intro als Duett zu dem Gesang, weil meine Oma Cello gespielt hat. So habe ich über die Streicher persönliche kleine Easter-Eggs mit eingebracht. Bei „Bury You Alive“ sind die Strings als Anlehnung an Charlie Puth zu sehen und bei ‚Dear Marie‘ sollten die Streicher dieses Schnulzige und Getragene ausdrücken. Das ist dann auch einfach ein Stilmittel, das ich kommentierend einsetze.
Was muss ein guter Song Deiner Meinung nach habe, damit es ein guter Song ist?
Sophie: Eine gute Hookline – sei es im Gesang, sei es in der Instrumentierung. Und dann ist es mir emotional wichtig, die Leute direkt anzusprechen. Das ist meine Philosophie um die Leute dann auch direkt erreichen zu können.
Die Beziehung zu den Instrumenten
Ein Punkt, den wir dringend noch ansprechen sollten, ist Dein besonderes Verhältnis zu Deinen Instrumenten. Du erzähltest ja mal, dass Du eine Ausbildung als Instrumentenbauerin angefangen hast und Dir heutzutage Custom-Gitarren anfertigen lässt, die ganz auf Dich zugeschnitten sind. Ben Harper sagte etwa ein Mal, dass ihm Gitarren sagten, wie sie klängen und ob sie von ihm gespielt werden möchten, wenn er sie erstmals zu Gesicht bekommt.
Wie ist eigentlich Deine Beziehung zu den Instrumenten und wie wirkt sich diese aus?
Sophie: Das kann ich nur unterschreiben, was Ben sagt. Wenn ich eine Gitarre sehe, kann ich auch schon erkennen, ob wir miteinander klar kommen oder nicht. Auch schon alleine vom Holz oder von der Lackierung her. Ich benenne meine Instrumente ja auch – was ja voll bescheuert ist – aber ich habe nun mal ein total enges Verhältnis zu meinen Instrumenten. Die sind mein Ein und Alles – auch weil jede anders klingt. Ganz besonders ist meine Lakewood M34 mit dem Zaunkönig im Griffbrett. Wenn ich ein Instrument bestelle, dann sage ich, wie ich die haben möchte, damit sie für diese Spieltechnik gut geeignet sind – etwa, dass ich ein Holz brauche, das auch perkussiv gut klingt – Esche etwa – und ich brauche ein gutes Tonabnehmersystem für den Live-Vortrag und ich brauche etwas, was leicht ist. Was ich vor allen Dingen brauche – auch bei meinen E-Gitarren – sind viele Bässe mit viel Wumms.
Das mit dem „Wumms“ bezieht sich dann allerdings auch wirklich nur auf die Bässe. So richtig laut wird es bei Sophie Chassée nämlich nicht wirklich – auch wenn auf der aktuellen LP „Attachement Theory“ dann mal elektrische Gitarren zu hören sind. Das Album erscheint am 06. September auf Roof-Records. Im Herbst geht Sophie Chassée dann auch auf eine Solo-Tour.
Weitere Informationen sind auf der Homepage der Musikerin erhältlich. (Beitragsbild von Timo Voigt