Soll das alles sein? – Erzählungen und Gedichte der nous-Redaktion

nous konfrontative Literatur

Die nous-Redaktion erörtert in Gedichten und Kurzgeschichten die großen Seins-Fragen

Die Frage im Titel “Soll das alles sein?” stellen sich am Ende alle Protagonisten und Protagonistinnen. Sie blicken dabei auf ein Leben, dass sie aufgefressen hat oder gerade dabei ist, sich alles einzuverleiben, was so ein Menschenbündel an Energie zusammen bringt. Die Frage nach dem Mehr, und die Rückschau oder auch Draufschau verbindet die neun Erzählungen und 13 Gedichte. Herausgegeben wird der Band von der jungen nous-Redaktion für konfrontative Literatur. Gewidmet wird er (ohne es explizit auszuschreiben) den Ausgebeuteten, Ungesehenen, den Lohnarbeiter:innen.

Darin liegt die Stärke des Buches und seine Kraft. Die Empörung über nie enden wollende Ungerechtigkeiten wie in “Das letzte Treffen” von Andrej Bill. Und die zärtlichen Beobachtungen und Beschreibungen eines sich krumm schuftenden Lebens in “Die Mutter” von Mesut Bayraktar schaffen Sätze wie diesen:  “Die Hausarbeit klebte an ihrer Existenz wie die Haut an ihrem Fleisch.” In “Die Eingeweihten” von Lukas Schepers versuchen Schichtarbeiter Tag für Tag in einer Fabrik zu überleben, wo man sich mehr mit Worten als mit Gesten verständigt und stundenlang die gleiche Bewegung ausführt, damit am Ende ein zerlegtes Schwein für einen Lohnzettel sorgt.

Vom Fabriklärm zum Wunsch nach einer freien Existenz

Soll das alles sein? Cover nous Redaktion

Eine inhaltliche Zusammenfassung könnte Andrej Bills Gedicht “Das Lose und das Feste” sein: “Manche schreiben über das Gezwitscher am Morgen/ Mich interessiert der Farbiklärm zur Frühschicht”. Und gerade jetzt im Jahr 2021 resultieren all diese generationen-langen Erfahrungen folgerichtig bei Mesut Bayraktars “Die Unbeugsamen” in dem Wunsch nach einer freieren Existenz. Nach einem Leben, in dem man einander hilft und unabhängig von der ermüdenden Martklogik lebt. Der Angstschweiß tropft da durch die Seiten und mit ihm die Wut und der verzweifelte Wunsch nicht wie alle anderen desillusioniert und ausgelaugt zu enden.

Ein Kleinod, das wie eine Ferieninsel zwischen all der Mühsal und dem Kampf schwimmt, ist Lukas Schepers “Sich ernähren”. Die Erzählung erinnert sehr an Samuel Becketts herrliches “Dante and the Lobbster” und erfrischt mit kleinen Absurditäten und einem Witz, der in manch anderen Erzählungen fehlt. Dort wo das Ernste überwiegt und manchmal auch das Zu-viel-Gewollte sprachlich dominiert. Dann kann es kitschig werden und bedeutungsschwanger und produziert Sätze wie “… das Band aus den Tränen der Mutter gestrickt”. 

Ein genre-übergreifender Spagat der nous-Redaktion

Am Ende beweist die Ausgabe, dass sie keine Scheu vor genre-übergreifenden Texten hat. Neben den Erzählungen und Gedichten sowie den Illustrationen von Claudia Kuhn, die alle sechs Kapitel thematisch einleiten, schließt der Band mit einem Essay über den Sinn des Genderns in Fließtexten. Wie weit der Bogen bei dem Thema Ausgebeutete und Ungesehene gespannt werden kann, ist hier ganz gut zu beobachten. Ob er mit dem Schritt hinaus aus der Fiktion überspannt wird, müssen die Leser:innen selbst entscheiden.

Svenja Hauersteins Essay „Bald wird es keine Sätze mehr geben“ will die sprachliche Ästhetik vor die Notwendigkeit einer gerechteren Sprache stellen und in Texten nicht über Gendersternchen stolpern müssen. Der Nutzen stehe in keiner Relation, argumentiert sie und es verhülle womöglich die realen Probleme, die auf sprachlicher Ebene nicht gelöst werden könnten. Dass Sprache aber immer auch Anstoß und ein erster Schritt in neue Welten und Realitäten sein kann, beweisen nicht nur die Texte und Gedichte zuvor.

Weitere Informationen über Herausgeber und Buch sind auf der Homepage der nous-Redaktion erhältlich. (Beitragsbild: Pressefoto)

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