Slime: Hier und Jetzt – Album Review

 

Der Kampf geht weiter

Als Slime 2010 ihr Comeback ankündigten, war das ein enormes Wagnis. Weniger noch als anderen Acts hätten Fans und Kritiker Deutschlands wirkungsmächtigster und verdientester Politpunk-Band eine halbherzige Alibi-Nummer verziehen. Doch mögliche Zweifel in diese Richtung fegte die Band um Sänger Dirk Joran wie beiläufig fort – mit mitreißenden Shows und dem enorm kraftvollen Album „Sich Fügen heißt Lügen“. Der Zuspruch von Kritikern und Fans belegte vor allem eines: Dass die riesigen Fußstapfen dieser Band unausgefüllt geblieben sind.

Keinem Act war es gelungen, politische Missstände ähnlich wirkungsmächtig in straßenkompatible Slogans zu transformieren, Kräfte zu bündeln und ein Gefühl des Aufbruchs aus der um sich greifenden Lethargie zu beschwören. Slime kamen nicht einfach zurück, sie waren besser denn je. Wer seit der Wiedervereinigung ein Konzert besucht hat, weiß, welche Wucht dieses Quintett entfachen kann.

Nun also das nächste Wagnis: Ein neues Album. 16 Songs, eigene Texte. Und wieder die bange Frage: Bröckelt das Denkmal diesmal? Und erneut die Entwarnung: Nein, kein bisschen. „Hier und Jetzt“ – eingespielt innerhalb von vier Wochen in Berlin – strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. In ihren Texten teilt die Band aus gegen besorgte Bürger, V- und Biedermänner, den Narzissmus in Zeiten von Social Media oder Gentrifizierung. Musikalisch zieht sie dabei alle Register. „Die Stummen“, „Die Geschichte des Andreas T.“, „Bekenntnis zu einem Paradoxon“, „Für alle Zeit“ und „Banalität des Bösen“ explodieren geradezu vor Energie. Und auch neue Töne sind zu hören. „Ich kann die Elbe nicht mehr sehen“ integriert Offbeat-Elemente und Bläser. Und mit „Hier und Jetzt“ gelingt der Band eine überraschend gute Midtempo-Hymne.

Sounds & Books_Slime_Hier und Jetzt_CoverWas Slime auch nach über 35 Jahren nach ihrer Gründung weiter antreibt, reflektieren sie in der Vorab-Single „Unsere Lieder“. „Mir wär‘ es lieber / Unsere Lieder wär’n nicht mehr aktuell / Und niemand würde sie noch singen / Sie wären nur ein Zeugnis einer längst vergessenen Welt / Und keine Zeile würde heut‘ noch stimmen“, heißt es dort. Es sind Zeilen, die das neue Selbstverständnis der Band ausdrücken: Keine Ruhe geben, weiter einmischen, weiter mitmischen, nicht nachgeben. Die Spielfreude auf diesen Aufnahmen ist mitreißend. „Hier und Jetzt“ klingt in jeder Sekunde frisch und unverbraucht. Die Band scheint noch einmal näher zusammengerückt zu sein, ihre Stärken noch besser einzusetzen. Dirk Joras Stimme nimmt es noch immer locker mit jeder Abrissbirne auf, das Zusammenspiel der Gitarristen Elf und Christian Mevs erreicht auf diesem Album das nächste Level und die Rhythmusgruppe um Nici und Alex Schwers sucht – mindestens hierzulande – eh ihresgleichen.

Unterstützung bekommen Slime unter anderem von Los Fastidios-Sänger Enrico, von Paul Sheridan (The Wakes) und Swiss sowie Pablo Charlemoine von Irie Révoltés. Auch Rod von den Ärzten, Betoncombo-Gitarrist Frank Nowatzki und die Seeed-Bläser mischen mit. Am deutlichsten macht sich allerdings die Kooperation mit Oliver Zülch bemerkbar, der schon Aufnahmen der Ärzte, Sportfreunde Stiller und den Toten Hosen mischte. Er macht den Slime-Sound noch transparenter, ohne ihm die Wucht zu nehmen.

Halbe Sachen waren nie das Ding von Slime. Diese Band macht ihre Sache ganz oder gar nicht. Das gilt auch und erst Recht für „Hier und Jetzt“ – eine Platte, mit der Slime ihren Ruf nicht einfach nur verteidigen, sondern voll auf Angriff setzen. Relevant bleibt, wer nicht in der Vergangenheit lebt. Slime haben das „Hier und Jetzt“ fest im Blick. Der Kampf geht weiter.

„Hier und Jetzt“ von Slime erscheint am 29.09. bei People Like You Records.

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