Slash feat. Myles Kennedy & The Conspirators: 4

Slash Myles Kennedy And The Conspirators by Austin Nelson

Mit „4“ knüpfen Slash und Myles Kennedy & The Conspirators an vergangene Alben und setzen sich gleichzeitig von ihnen ab

35 Jahre nachdem Slash und der Sound seiner ikonischen Les Paul mit „Appetite For Destruction“ das erste Mal auf einer Veröffentlichung zu hören waren und seitdem nicht mehr aus der Rockmusik wegzudenken sind, erscheint mit „4“ nun sein bereits fünftes Soloalbum. Während das Erste mit bekannten Freunden und Musikern des Gitarristen aufgenommen wurde, sind die letzten vier Alben in gemeinsamer Arbeit mit Myles Kennedy und „The Conspirators“ entstanden, sodass sie der neuen Veröffentlichung folgerichtig den Titel verleihen. Inwiefern die fünf Herren aus Nordamerika damit an ihre Vorgänger anknüpfen können, bleibt nach ersten Runden des Plattentellers jedoch offen. 

Eine gesteigerte Dynamik

Ob die Band um Slash mit „4“ tatsächlich Atmosphären aus „Apocalyptic Love“, „World On Fire“ und „Living The Dream“ aufgreifen möchte sowie kann, ist jedoch eine Frage, die überhaupt erst einmal gestellt werden muss. Auch wenn man sich bei einem schnell steigendem Wasserpegel („The River Is Rising“) eine schnelle Antwort erhofft hat, verdient das Album mehrfaches Hinhören, um die Entwicklung rund um neue Einflüsse und der zeitgleichen Treue zu bekannten Mustern, wertschätzen zu können. Bereits zu Beginn erklingen harte Riffs, die anhand der live eingespielten Tracks noch dynamischer wirken, und dabei Lust auf mehr machen.

Zeitgleich werden die Zuhörenden aber auch die ausgewogenen Töne von Myles Kennedys Stimme vermissen, die sowohl bei Alter Bridge als auch in dieser Zusammenstellung stets zu überzeugen wussten. Diese Veränderung ist jedoch nicht – wie möglicherweise zu erwarten – durch den Wechsel des Studios und des Produzenten von Michael „Elvis“ Baskette zu Dave Cobb zu begründen, sondern vielmehr durch die Einflüsse der Corona Pandemie. 

Die Pandemie & gesellschaftliche Entwicklungen

Slash IV Cover Gibson Records

Sänger Myles Kennedy gehörte zu den ersten Mitgliedern der Band und des Studios, das sich positiv hat testen lassen: „Wenn ich mir ‚The River Is Rising‘ anhöre, höre ich, dass ich zu dem Zeitpunkt schon ziemlich krank war“, kann der Sänger auch bei Veröffentlichung feststellen. Trotz strengen Regulierungen und immer wiederkehrenden Tests, die Kennedy als wasserdichtes Protokoll beschreibt, reichte die Vorsicht während der Produktion in Nashville nicht aus, sodass Rhythmus-Gitarrist Frank Sidoris der Einzige ohne Infektion blieb. An Geschwindigkeit und Härte der zu hörenden Saiten und Felle musste „The River Is Rising“ jedoch nicht einbüßen, sodass es dem Inhalt nicht an Nachdruck mangeln sollte.

Infolge der gesellschaftlichen Ereignisse in den USA und den Entwicklungen in Slashs Geburtsland Großbritannien, sah man es als nötig an künstlerisch zu reagieren. „Poison the well and push the lie. All in the name of nothing, have we been hypnotized? No doubt the end is coming, we’re out of time“, singt Kennedy demgemäß und stellt zudem die Frage, ob man bei erwähntem steigenden Wasserpegel gemeinschaftlich untergehen würde. Nachdem das erste und zugleich schnell gespielte Solo von Slash den Übergang zur Hook findet, stellt Myles Kennedy klar, der Untergang im Paradies sei sicher. 

Explosive Energien im unmittelbaren Live-Erlebnis

Ein Ziel der Aufnahmen vor dem Hintergrund der Pandemie und der gesellschaftlichen Situation, sei es gewesen, eine gewisse Stimmung innerhalb der Band einzufangen. Um die Atmosphäre auch im Sound wiedergeben zu können, ist die Band mit dem Tour-Bus nach Nashville gereist und begann die Arbeit im renommierten RCA Studio A. Über den Aspekt von gemeinsamen Live Aufnahmen der Band hinaus – wie sie bereits auf allen zuvor erschienenen Alben von Slash (inkl. Guns N’ Roses & Velvet Revolver) genutzt wurden – fanden während der Produktion von „4“ keine großartigen Nachbearbeitungen statt, wie es zuvor meist der Fall war. Die Vorstellung einen kraftvollen und dynamischen Sound mit ursprünglichem Rock-Spirit zu kreieren, gelang den Musikern.

Die geteilten Ansichten von Slash und Produzent Dave Cobb

Eine Basis hierfür bildeten die geteilten Ansichten von Saul Hudson (Slash) und Dave Cobb hinsichtlich des Aufnahme-Prozesses. „Dave und ich hatten diese großartige Unterhaltung, in der wir über [den berühmten Produzenten und Tontechniker] Glyn Johns, Live-Aufnahmen, Spontaneität sowie erste und zweite Takes sprachen – all diese Sachen, die genau mein Ding sind.“ Im Anschluss stand fest, dass man das vierte Projekt der Band gemeinsam angehen wird, sodass bereits innerhalb der ersten Woche um die 90 Prozent des Materials aufgenommen werden konnten. Exakt diese Energie stand letztlich im Fokus dieses Albums und unterstützte das Ziel, der Band kreativen Freiraum zu bieten. So wurde es eine explosive und authentische Live-Session – eine Live-Session, die in ihrer ursprünglichen Form auch auf dem Album zu hören sein wird. 

Das Interesse an Weiterentwicklung ist nicht gebremst

Neben der sich verändernden Umgebung des Studios und Dave Cobb als Produzenten, ergaben sich auch neuartige Möglichkeiten im Klang der Lieder. Während anstelle der Les Paul mit kraftvollen Humbucker-Pickups im Intro von „Spirit Love“ eine elektrische Sitar durch die Röhren der Marshall Amps von Slash läuft, bringt der Gitarrist seine Vorliebe für exotische Tiere wie Schlangen zum Ausdruck. Die Weiterentwicklung des Klanges fand innerhalb des kreativen Prozesses der Band statt, indem die Musiker mit Spontanität zwei Tracks pro Tag aufnehmen konnten und somit musikalische Grenzen weiterhin verschoben. Die Kenntnis von gegenseitigen kreativen Vorlieben und der kollektive Gedanke Musik unkaschiert im Sinne des Live-Moments aufzunehmen, wird mit „4“ nach zehn gemeinsamen Jahren auch auf den Rillen der Schallplatte zu genießen sein. Die fünfköpfige Band bietet mit dieser Veröffentlichung eine natürliche Erweiterung der vorangehenden Alben, die den Katalog zudem vielfältiger und rauer werden lässt ohne dabei langjährige Fans zu enttäuschen.

Von der Talk Box bis hin zur Tischglocke – Das interne Verständnis

Mit der Talk Box eingeleitet, bietet der dritte Track des Albums, „C’est la vie“, den bekannten Klang aus rhythmischen Drums und dem Gitarrenspiel von Slash, der ebenso in „April Fool“ zu hören ist und sich mit kraftvollem Rhythmus hervorhebt. Darüber hinaus nimmt man anhand der melodischen Soli sowie schnell gespielten (Palm-Muted)-Riffs in „April Fool“ die Anerkennung des Gitarristen gegenüber Aerosmith wahr, mit denen Hudson schon mehrfach auf der Bühne stand.

Das gute Verständnis innerhalb der gesamten Band und die Abstimmung untereinander ist nicht nur auf vorangehenden Touren auf den Kontinenten dieser Welt zu erkennen gewesen, sondern ist es auch im Verlauf dieses Albums, das sich dahingehend hinter keinem der Anderen verstecken muss. Besonders Lieder wie „Actions Speak Louder Than Words“ heben das Bewusstsein füreinander hervor, indem rhythmische Abschnitte hervorragend von Soli und Bridges abgelöst werden und die jeweiligen Stärken der Musiker veranschaulichen. Während die Cowbell von Schlagzeuger Brent Fitz auch bei „4“ wieder ihren regelmäßigen Einsatz fand, kam ebenso eine einfache Tischglocke zum Einsatz, die im schweren „Whatever Gets You By“ einen Schlusspunkt im Drum-Intro setzt und zeitgleich der Dynamik des Liedes sämtliche Begrenzungen nimmt.

Bekannte Muster trotz Vielfalt und Weiterentwicklung

Höhere Frequenzen sind auf „4“ im Ohrwurm-verdächtigen „Fill My World“ zu finden und gestalten das Album hinsichtlich des Klanges und der Stimmung umso vielfältiger. Anhand des besonders melodischen und lebendigen Solos von Slash unterstreichen die Bandmitglieder ihre kreativen Möglichkeiten auch nach langjähriger Präsens in der Musikindustrie, für die Kennedy eine passende Begründung liefern kann: „Das liegt daran, dass wir lieben, was wir tun, und uns wirklich mögen.“ Dennoch sind auf dem Album Passagen zu finden, die an bereits veröffentlichte Songs der Band erinnern, wie es ebenso auf dem Vorgänger „Living The Dream“ der Fall war.

Während in dem 2018 veröffentlichten Album Vocals von „The One You Loved Is Gone“ an „Battleground“ aus der LP „World On Fire“ erinnern, ist es bei „4“ „C’est la vie“, das musikalische Parallelen zu „Read Between The Lines“ aus „Living The Dream“ aufweist. Neben diesen zu erkennenden Ähnlichkeiten ist auf einen weiteren Aspekt Verlass: Die Aufnahme eines würdigen Abschlusses von „4“, der nicht an Zeit und Raum spart. Mit „Fall Back To Earth“, den der legendäre Gitarrist selber als „Epos“ beschreibt, liefert die Band einen sich steigernden Track, der mit einer dynamischen Range und Wechseln in der Tonart zu überzeugen weiß. 

Es bleiben Energie und Authentizität

„Die Erfahrung war wirklich einzigartig“– so blickt Slash auf die Produktion des vierten Albums im Kollektiv mit Myles Kennedy sowie Todd Kerns, Frank Sidoris und Brent Fitz (The Conspirators) zurück. Gemeint sind hierbei wohl die Einflüsse der Corona-Pandemie und der abermals gesteigerte Fokus auf gemeinsame Live-Aufnahmen. Die innerhalb der Lieder zu erhörenden technischen Fehler, die sich durch die authentische Live-Produktion ergaben, wurden dem Verlust an Ausdruckskraft zugunsten einer energischen Klangfabrik des Rock vorgezogen.

„Es hat etwas sehr Spontanes und Lebendiges an sich. Das liebe ich!“

Slash

„Das ist das, was ich an dieser Platte wirklich interessant finde. Wir ließen diese Unvollkommenheiten einfach drin. Denn sie sind alle Teil der Geschichte“, ergänzt Myles Kennedy und führt weiter aus: „Es ist ein anderer Ansatz, aber ein sehr menschlicher.“ Der unmittelbare Sound von fünf exzellenten Musikern, die zeitgleich ihren unumwundenen Beitrag auf dem Tonband leisten, beschreiben den Kern dieses Albums, das sich dadurch auszeichnet und zu beeindrucken weiß. Mit „4“ knüpft die Band zum Einen an vergangene Alben an und kann sich zum Anderen von ihnen absetzen, indem eine Kraft und Authentizität offenbart wird, die vorherige Veröffentlichungen nicht in diesem Ausmaß bereithalten. Die Weiterentwicklung der Musiker wird jedoch nicht mit „4“ enden. „Wir machen immer weiter, weil wir es lieben, diese Platten zu machen und die Touren zu spielen und eine wirklich gute Zeit zu haben.“

„4“ von Slash feat. Myles Kennedy & The Conspirators erscheint am 18.02.2022 bei Gibson Records / BMG. (Beitragsbild von Austin Nelson)

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