Singer-Songwriter Hamish Hawk im Interview

Hamish Hawk live Berlin 2024 Passionskirche by Gérard Otremba Sounds & Books

Hamish Hawk entwickelt sich als Singer-Songwriter von Album zu Album weiter – weil er sich sonst ziemlich schnell gelangweilt fühlen würde, wie der Schotte im Interview von Sounds & Books bekennt.

Interview von Werner Herpell

„Weiter, immer weiter“ – dieses legendäre Oliver-Kahn-Zitat gilt ganz sicher auch für die künstlerische Entwicklung von Hamish Hawk. Der Musiker aus Edinburgh zeigt auf seinem wohl besten Album „A Firmer Hand“ (Veröffentlichung am 16.08.2024 beim Label So) nun wieder neue Facetten als Songwriter – für den Wiedererkennungs-Effekt sorgt ohnehin seine großartige Bariton-Stimme. Sounds & Books hat mit dem 32-Jährigen über die Anfänge in der schottischen Musikszene, seine Vorbilder, seine Themen und natürlich die neue Platte gesprochen.

Hallo Hamish, ich habe Dich vor einigen Wochen in der Berliner Passionskirche als Support von Villagers live gesehen. Du schienst Dich auf der Bühne als Solokünstler sehr wohl zu fühlen. Im September wirst Du wieder in Deutschland sein und Travis unterstützen. Gefällt Dir dieses Umfeld – mit zwei ganz unterschiedlichen großartigen Bands zu touren, eine davon aus Deinem Heimatland Schottland?

Gern als Troubador mit Gitarre unterwegs

Hamish Hawk: Als ich angefangen habe, bin ich die meiste Zeit solo aufgetreten. Inzwischen ist das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen, und die Band-Auftritte füllen

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den größten Teil meiner Zeit aus. Manchmal werde ich nervös, wenn ich solo auftrete, weil ich befürchte, dass das Publikum die lauteren Sachen bevorzugt und es nicht mag, wenn ich wie ein Troubadour mit der Akustikgitarre in der Hand auf die Bühne gehe. Ich arbeite immer noch daran, diesen Gedanken nicht zu viel Raum zu geben, denn das ist lähmend. Sowohl Soloauftritte als auch Gigs mit der ganzen Band haben ihre Vorzüge, und ehrlich gesagt, würde ich gerne öfter solo auftreten. Ich möchte die Muskeln sozusagen in Schwung halten. Was internationale Auftritte angeht, so profitiere ich sehr davon. Es ist wunderbar zu sehen, wie die Leute meine Musik genießen. Das ist ein Geschenk.

Deine Alben klingen meiner Meinung nach sehr unterschiedlich, von „Aznavour“ (2014) und „Laziest River“ (2019) bis zu den jüngsten, üppig klingenden Alben „Heavy Elevator“, „Angel Numbers“ und dem kommenden „A Firmer Hand“. Siehst du Dich selbst als einen sich ständig weiterentwickelnden Singer-Songwriter, der sich durch die Wiederholung einer Formel langweilt?

Hamish Hawk: Ich schätze, ich bin ziemlich leicht zu langweilen, ja. Und wenn es um Formeln in der Musik geht (oder zumindest in meiner eigenen Musik), finde ich sie ermüdend. Dennoch muss ich zugeben, dass ich dann, wenn ich die Richtung gewechselt habe, zum Beispiel vom Indie-Pop von „From Zero To One“ zu den Klavierkompositionen von „Laziest River“, eher aus einer Laune heraus gehandelt habe, das war keine strategische Entscheidung. Wenn ich eine Veränderung spüre, gehe ich mit – falls ich den Mut dazu aufbringe. Wenn sich etwas richtig anfühlt, dann ist es das wahrscheinlich auch. Ich fühle mich geschmeichelt, dass man mich für einen sich stetig entwickelnden Songwriter hält.

Erzähl uns doch bitte mehr über Deine Entwicklung. Du hast angefangen, Musik zu machen, als du an der Universität von St. Andrews studiert hast, einer kleinen, wunderschönen schottischen Stadt an der Ostküste (ich hatte letztes Jahr Gelegenheit, sie zu besuchen). Was hat Dich damals zum Singer-Songwriter gemacht?

Songwriting als „Ventil für schwierige Emotionen“

Hamish Hawk: Seit ich ein Kind war, liebe ich es, aufzutreten. In der Schule habe ich Schauspiel gelernt (nicht Musik, was vielleicht überraschend ist) und Gitarrenunterricht genommen, obwohl ich die Begeisterung dafür bald verlor. Im Alter von 14 oder 15 Jahren begann ich, Akkorde zu lernen und meine eigenen Songs zu schreiben. Ich wusste nicht, dass dies für immer so bleiben würde. Das Schreiben von Liedern war für mich immer ein Vergnügen und ein Ventil für schwierige Emotionen, von denen ich nicht wusste, wie ich ansonsten damit umgehen sollte.

In St. Andrews begannen die Dinge sich wirklich zu entwickeln, ich schrieb viel und trat auf, wo immer ich konnte. Gegen Ende meiner Zeit dort traf ich den Gründer von Fence Records und meinen musikalischen Helden, King Creosote (Kenny Anderson), der mich förderte und mir half, mein erstes Album „Aznavour“ zu veröffentlichen. Ich hatte großes Glück, dass dies so passiert ist. Ich habe mich sehr auf seine Freundlichkeit verlassen können, und er hat mir so viel beigebracht. Er fand für mich das richtige Publikum, die Art von Menschen, die meine Arbeit zu schätzen wussten. Dafür kann ich ihm nicht genug danken.

Lass uns über Deinen Gesang sprechen. Er ist fabelhaft – ein warmer Bariton, der mich an Scott Walker, Jarvis Cocker, Neil Hannon, Nick Cave, Richard Hawley erinnert. Und an Morrissey natürlich. Gefallen Dir diese Vergleiche, welcher passt am besten? Wann hast Du Deine Stimme als Sänger entdeckt?

Hamish Hawk: Jeder dieser Vergleiche ist ein riesiges Kompliment, und ich glaube zu verstehen, woher sie kommen. Walker/Cocker für die Dramatik, die Baritonstimme, die überlebensgroßen Texte. Morrissey für die Liebe zur Poesie, den romantischen Schwung der Songs. Neil Hannon vielleicht wegen des Wortspiels und der komischen Sensibilität, aber auch wegen des Timbres der Stimme. So sehr ich Nick Cave auch liebe, so wenig sehe ich ihn in meiner Arbeit, obwohl vielleicht „A Firmer Hand“ seinen Einfluss stärker spüren lässt.

Um ehrlich zu sein, habe ich erst in den letzten ein oder zwei Jahren meine Stimme als Sänger so richtig entdeckt. Es mag ein wenig lächerlich klingen, aber ich habe mich nie als Sänger betrachtet, sondern immer als Songschreiber oder Texter. Ich bin immer noch dabei, mich mit der Tatsache anzufreunden, dass die Leute den Klang meiner Gesangsstimme tatsächlich mögen. Das ist ein Vorteil, über den ich bisher nicht viel nachgedacht habe. Es ist wahrscheinlich absurd, aber es ist wahr.

Dein neues Album könnte die Krönung Deiner Arbeit als Sänger und Songschreiber sein. Luxuriöse Songs, eingängige Melodien, einige funky Grooves und tanzbare Rhythmen, in „Big Cat Tattoos“ zum Beispiel, und obendrauf Deine großartige Stimme. Wie schätzt Du „A Firmer Hand“ in Deinem Katalog ein?

Ein freizügiges und lyrisch dichtes Album von Hamish Hawk

Hamish Hawk: Danke, ich fühle mich sehr geschmeichelt. Ich habe in der Vergangenheit gesagt, dass ich die verkehrteste Person dafür bin, gefragt zu werden, wie meine Alben klingen – denn wenn ich sie höre, höre ich eben meistens mich selbst. Das kann unangenehm sein, so wie wenn man seine eigene Stimme auf einer Mailbox hört. Was ich über „A Firmer Hand“ aber sagen kann – es ist das freizügigste, schmerzhafteste und lyrisch dichteste Album, das ich je aufgenommen habe. Es fällt mir schwer, es anzuhören, denn es ist, als würde ich alte Tagebucheinträge überfliegen. Sagen wir einfach, ich bin froh, dass die Tage, die mich zu diesen Einträgen inspiriert haben, schon lange vorbei sind.

Der Sound von „A Firmer Hand“ ist großzügiger als je zuvor, wie eine Mischung aus New Order, The Smiths und Pulp. Wolltest Du das von Anfang an so haben, oder hat sich der Sound im Studio entwickelt?

Hamish Hawk: Andrew Pearson (mein Gitarrist und Co-Autor) und Stefan Maurice (mein Schlagzeuger und Co-Autor) haben mit der Musik auf diesem Album einen außergewöhnlichen Job gemacht. Wir wollten, dass die Platte ein Band-Album wird – insofern, dass wir alle Instrumente, die auf dem Album zu hören sind, auch auf der Bühne spielen. Wir wollten, dass es nach Menschen klingt, die in einem Raum Musik machen. Letztendlich haben diese selbst auferlegten Beschränkungen dazu geführt, dass die Songs größer klingen und hoffentlich mehr Eindruck auf den Hörer machen.

Du hast „A Firmer Hand“ als Dein „Coming-of-age-Album“ bezeichnet. Was ist damit gemeint? Ist Dein Songwriting autobiografisch?

Themen aus der eigenen Realität

Hamish Hawk: Auf jeden Fall. Ich habe schon immer autobiografisch geschrieben. Das soll nicht heißen, dass die Songs, die ich schreibe, ganz wörtlich genommen werden sollten, es gibt überall poetische Schnörkel und Ausschmückungen. Aber meine Songs sind immer von realen Erfahrungen inspiriert, die ich gemacht habe, und mein Songwriting hilft mir, diese Erfahrungen zu verarbeiten. „A Firmer Hand“ ist das kompromissloseste Album, das ich je geschrieben habe; in diesem Sinne ist es eine „Coming-of-age“-Platte. Es ist ein Album, das sich wenig darum schert, wie es von anderen definiert wird, und ich denke, das passiert den meisten von uns, wenn wir älter werden – wir kümmern uns weniger darum, wie wir wahrgenommen werden. Zumindest würde ich das gerne glauben.

In den Texten tauchen einige interessante Namen auf – Jacques Brel, Frankie Valli, Franz Kafka, „All Things Must Pass“ (das legendäre George-Harrison-Album) etwa. Erwähnst Du gern einige Deiner Helden?

Hamish Hawk: In meinen Liedern stecken viele Referenzen. Es sind nicht immer Helden, oft sind es sogar ganz und gar nicht meine Helden, aber für mich sind sie eine Art Kurzform, wenn man so will. Jacques Brel, Tommy Cooper, Franz Kafka – es geht um diese Menschen, aber auch darum, wo ich sie zum ersten Mal entdeckt habe, um das Gespräch, das ich kürzlich hatte und in dem sie erwähnt wurden, um die emotionale Situation, in der ich mich befand, als ich vor Jahren Kafkas „Die Verwandlung“ las oder vor sechs Monaten „All Things Must Pass“ hörte.

Es ist die Vorstellungswelt, die sie bei mir hervorrufen, wenn ich sie mir ins Gedächtnis rufe. In meinen Liedern sitzt Britt Ekland neben George Harrison, Elvis Presley spricht mit Bill Callahan, und es sind diese erfundenen Welten und Situationen, die ich zu erkunden versuche. Diese Namen sind Werkzeuge, genau wie alle anderen Worte in meinen Liedern, um etwas zu erschaffen, um etwas Einzigartiges im Kopf des Zuhörers aufzubauen.

Du wurdest in Edinburgh geboren und lebst dort (in einer Stadt, die ich auch sehr liebe). Was bedeutet die historische Hauptstadt von Schottland für Dich? Bist Du Teil einer besonderen schottischen Musikszene?

„Edinburgh ist einfach ein Teil von mir“

Hamish Hawk: Edinburgh ist für mich etwas ganz Besonderes. Es ist schwierig, genau zu sagen, wie es meine Musik beeinflusst hat, aber ich denke, man kann es in vielen meiner Songs erkennen. Ich kann es jedenfalls erkennen. In Edinburgh aufgewachsen zu sein, hat mir eine gewisse Wertschätzung für die Schönheit, die Geschichte und die Perspektive vermittelt, die man bekommt, wenn man im Dazwischen lebt. Edinburgh hat nichts von einer Großstadt, und doch ist es dort gewiss kein Landleben. Es ist zwar die Hauptstadt Schottlands, aber nicht einmal die größte Stadt.

Denn Glasgow ist traditionell das kulturelle Zentrum Schottlands, und während meiner frühen Jahre als Songwriter musste ich dort meistens Arbeit finden. Es ist großartig, auch nur eine bescheidene Rolle bei der Etablierung einer Szene in Edinburgh zu spielen, die über die Rolle als „Festivalstadt“ hinausgeht. Es ist mir nie gelungen, aus Edinburgh wegzuziehen, diese Stadt ist einfach zu sehr ein Teil von mir.

Um dieses Interview abzuschließen, nenne mir bitte Deine Lieblingssongs von „A Firmer Hand“, mit Erklärungen. Du kannst gern persönliche Gedanken zu diesen neuen Songs äußern.

Hamish Hawk: „Juliet As Epithet“ – das ist einer der wenigen Songs, mit denen ich wirklich total glücklich bin. Ich würde nichts daran ändern. Es gibt immer Dinge, die ich gerne verbessern würde, wenn ich noch eine Chance hätte. Es ist ein großartiges Gefühl, diesen Song zu hören und jeden einzelnen Teil zu genießen.

„Machiavelli’s Room“ – der zweite Song auf dem Album, und der zweite, den ich für das Album geschrieben habe. „A Firmer Hand“ wurde ganz in seinem Sinne geschrieben. Es ist das lüsterne, animalische, dunkle Herz des Albums.

„Autobiography Of Spy“ – unwahrscheinlich, dass „Autobiography…“ jemals eine Single hätte werden können, aber das ist einer meiner Lieblingssongs. Ich hatte so viele alternative Strophen für diesen Song, und während ich ihn schrieb, habe ich eine Liste mit imaginären Titeln für Autobiografien von Spionen geschrieben. Zwei davon sind in dem Lied enthalten: „God Knows Archipelago“ und „Hammersmith & Valentine“.

Hamish Hawk und „eine Art Entschuldigung“

„The Hard Won“ – das letzte Stück des Albums ist eine Art Entschuldigung an die Objekte meiner Zuneigung in früheren Alben. In diesem Song gestehe ich vergangenes Unrecht ein, und er spiegelt ein paar unangenehme Gespräche wider, die ich geführt habe, und Erklärungen, die ich nicht gegeben habe. Es ist ein bisschen schwierig für mich, ihn zu hören.

Vielen Dank für das Interview und viel Glück, Hamish!

Das Album „A Firmer Hand“ von Hamish Hawk erscheint am 16.08.2024 beim Label So. Eine S&B-Review dazu folgt. (Beitragsbild: Hamish Hawk live in Berlin, 02.06.2024, von Gérard Otremba)

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