Sasha Filipenko: Kremulator

Sasha Filipenko credit Lukas Lienhard Diogenes Verlag

Ein kurzer Roman mit tiefer Wirkung: Sasha Filipenko taucht in „Kremulator“ in die Zeit Stalins ein und liefert ein bitterböses Statement zum heutigen Russland

Seit 2020 hat der Diogenes Verlag die von Sounds & Books rezensierten Romane „Rote Kreuze“, „Der ehemalige Sohn“ sowie „Die Jagd“ von Sasha Filipenko veröffentlicht. Nun also ist das vierte Werk, „Kremulator“, des belarussischen Autors erschienen, wie dessen Vorgänger erneut von Ruth Altenhofer ins Deutsche übersetzt. Über seine schriftstellerischen Tätigkeiten hinaus engagiert sich Sasha Filipenko politisch und musste aufgrund von regimekritischer Artikel 2020 Russland verlassen, wo er studiert und gearbeitet hat. Mit seiner Familie lebt Filipenko nunmehr im Exil in der Schweiz. In seinen Romanen legt der 1984 in Minsk geborene Schriftsteller den Finger in Wunden russischer oder belarussischer Geschichte und Gesellschaft. In die russische Geschichte taucht Sasha Filipenko in „Kremulator“ ein.

Der Chef des Moskauer Krematoriums

Sasha Filipenko Kremulator Cover Diogenes Verlag

Einen Tag nach Beginn des deutschen Angriffskrieges auf Josef Stalins Sowjetunion wird Pjotr Nesterenko, der Chef des Moskauer Krematoriums, verhaftet. Es beginnen die Verhöre mit dem strebsamen Beamten Perepeliza, für den eine Verurteilung Nesterenkos – den er aufgrund seiner internationalen Kontakte als mögliche Gefährdung für der Sowjet-Gesellschaft ansieht und ihm die Planung eines Terroranschlags auf Stalin unterstellt – zum Tode von vornherein klar ist. Perepeliza benötigt zwar keine wirklichen Gründe, um Nesterenko vor das Erschießungskommando zu stellen, aber dessen Biografie möchte er so detailliert wie möglich geschildert bekommen. Nesterenko lässt sich während der Vernehmung nicht einschüchtern, begegnet seinem Gegenüber auf Augenhöhe, manchmal sogar mit einem spöttisch-ironischen Unterton, wenn er, um sei es nur, um Zeit herauszuschlagen, seine Lebensgeschichte in aller Ausführlichkeit erzählt. In einer nonchalanten Art denkt Pjotr Nesterenko, er stünde über dem Tod.

Sasha Filipenko und das heutige Russland

Immer geleitet von seinem Traum, Pilot zu werden sowie von seinen Gefühlen für seine große Liebe Vera, die er wiederzusehen erhofft, treibt er als Spielball der Zeit durch die Geschichte.  Er hat gegen die Bolschewisten gekämpft, war verwundet, musste von der Krim nach Konstantinopel fliehen, lebte in Polen, Serbien und Bulgarien, verdiente sein Geld als Taxifahrer in Paris und war „Geheimagent“, bevor er 1926 in die Sowjetunion zurückkehrte. Als Leiter des Moskauer Krematoriums hat er bald rund um die Uhr zu tun, tausende Leichen, Opfer des stalinistischen Terrorregimes, landen in seinem Institut.

Sasha Filipenko erfindet mit Pjotr Nesterenko zwar keinen fehlerlosen Helden, aber einen, der sich in einer Welt voller Gräueltaten noch etwas Menschlichkeit bewahrt. Sein Blick auf die Realität indes zeugt von präziser Klarsicht, die den Roman für die Leser passagenweise zu einer beklemmenden Lektüre werden lässt. Repressionen, Willkür, Gewalt, Unterdrückung, es fällt nicht schwer, „Kremulator“ als ein bitterböses Statement Filipenkos auf das heutige Russland zu lesen. Ein kurzer Roman mit tiefer Wirkung.

Sasha Filipenko, „Kremulator“, Diogenes, aus den Russischen von Ruth Altenhofer, Hardcover, 256 Seiten, 978-3-257-07239-6, 25 Euro. (Beitragsbild von Lukas Lienhardt)   

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