Harter Stoff, von Sandra Weihs perfekt in Szene gesetzt
von Gérard Otremba
Es ist zweifellos schwere Kost, die uns Sandra Weihs mit ihrem Debütroman vorsetzt. Im Mittelpunkt von Das grenzenlose Und steht die 18-jährige Marie, eine Borderline-Patientin, die in einer betreuten Wohngemeinschaft lebt. Von ihrer alkoholsüchtigen Mutter während ihrer Kindheit physisch und psychisch misshandelt, entwickelt Marie eine tiefste Ablehnung gegen das Leben, kommt mit der Welt nicht klar, Selbstmordversuche sind die Folge. Nirvana, die Band des depressiven Genies Kurt Cobain, ist ihre Lieblingsmusikgruppe, sie erwärmt sich für Ciorans Schriften Vom Nachteil, geboren zu sein und hat mit Willi einen außergewöhnlichen, fast skurril anmutenden Therapeuten, der mit höchst eigenwilligen Methoden auf seine Patienten zugeht. Im Vorraum der Praxis lernt Marie den wenige Jahre älteren Emanuel kennen, der bei seiner Großmutter in einem einst von ihr betriebenen Bordell wohnt. Während Marie sterben möchte, hat Emanuel das Problem, dass er sterben muss, denn ein irreparabler Hirntumor setzt demnächst seinem Leben ein Ende. Marie soll ihm die Angst vor dem Sterben nehmen, sie einigen sich auf einen Pakt und wollen an Maries in drei Monaten stattfindenden Geburtstag einen gemeinsamen Suizid zelebrieren.
Sandra Weihs hat Sozialarbeit studiert und mit Kindern, Jugendlichen und Familien aus prekären Verhältnissen gearbeitet. In ihrer Berufswelt hat sie wahrscheinlich genügend Vorbilder für Marie kennen gelernt, die Thematik dürfte ihr nur allzu bekannt sein. Das spürt man, denn mit viel Mitgefühl, aber ohne in Selbstmitleid zu verfallen und mit einer Prise Humor lässt sie Marie aus ihrem Leben berichten. Maries Gründe und Argumentation, sich dem Tod hingeben zu wollen, sind stets schlüssig und nachvollziehbar, sowohl auf emotionaler, als auch auf intellektueller Ebene. Dass in Marie ein Entwicklungsprozess stattfindet und der Roman nicht im größtmöglichen Unglück endet, liegt dennoch nahe. Sandra Weihs bedient sich in Das grenzenlose Und einer einfachen, prägnanten, teils drastischen, dem Alter ihrer Protagonisten entsprechenden Sprache, tagesphilosophische Exkurse über den Sinn des Lebens inklusive. Obwohl der Tod wie ein Damoklesschwert über diesem Roman schwebt, verleiht ihm Sandra Weihs ein hoffnungsvolles Antlitz, voller Rührung und Zärtlichkeit. Für Das grenzenlose Und erhielt die 30-jährige Österreicherin den Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung für das beste deutschsprachige Debüt des Jahres 2015. Mal sehen, welche Preise noch folgen.
Sandra Weihs: „Das grenzenlose Und“, Frankfurter Verlagsanstalt, Hardcover, 978-3-627-00220-6, 19,90 €.