Samuel Selvon: Die Taugenichtse – Roman

Ein exotisch-urbaner Sound aus dem London der 50er-Jahre

Moses ist schon länger in London. Seit fast zehn Jahren schlägt er sich in der britischen Hauptstadt durch. Er gehört zu den ersten westindischen Einwanderern der Nachkriegszeit, der „Mokkas“ aus der Karibik und ist die wichtigste Ansprechperson für alle Neuankömmlinge aus Jamaika, Trinidad oder Barbados, die mittellos und ohne ein Dach über dem Kopf in Waterloo Station aufschlagen. Sie alle kehren ihrer Heimat mit vielen Hoffnungen den Rücken, um in London ein besseres Leben zu finden. Dieser Anfangseuphorie, der auch Henry Oliver Esquire, alias Sir Galahad, den Moses zu Beginn des Romans Die Taugenichtse vom Bahnhof abholt, verfallen ist, setzt Samuel Selvon in Moses einen ausgleichenden Gegenpart.

Denn obwohl Moses sich seit ein paar Jahren in einer Fabrik abplagt, fristet er nach wie vor ein Dasein in Armut. Er weiß also ob der Schwierigkeiten für die karibischen Immigranten, die als billige Arbeitskräfte nach England geholt worden sind und versucht ihnen seine Erfahrungen zu vermitteln, die auch von Rassismus künden. Doch trotz widriger Bedingungen wie dem miesen Wetter und einer deutlichen Ausgrenzung, sie leben zwar verstreut in ganz London, aber eine Art Ghettoisierung zwischen Notting Hill Gate, Marble Arch und Bayswater macht sich bemerkbar,  lassen sich die „Mokkas“ ihren Lebensmut nicht nehmen, veranstalten Tanz-Partys und bandeln mit weißen Frauen an.

Samuel Selvon, der in den 50er-Jahren selbst als Migrant in London lebte, fängt die Atmosphäre der Lebensumstände seiner karibischen Landsleute zwischen abgrundtiefer Tristesse, letztem Hoffnungsschimmer und großen Träumen perfekt ein. Selvon lässt seine Protagonisten in einem von ihm erfundenen, sehr nah am Original behafteten, kreolischen Slang sprechen. Er nutzt diesen Dialekt jedoch nicht allein für die Dialoge, sondern auch für die narrativen Abschnitte seines Romans. Die von der gewohnten Grammatik abweichende Sprache ist zunächst gewöhnungsbedürftig, erzeugt aber eine direkte Unmittelbarkeit. Der 1956 unter dem Titel The Lonely Londoners erschienene Roman ist nicht nur ein für die damalige Zeit radikales, teilweise mit an James Joyce erinnernden, sprachlichen Stilmitteln arbeitendes Werk, sondern mit seinen Themen Migration, Integration und Ausgrenzung aktueller denn je.

Von Miriam Mandelkow erstmalig und exzellent ins Deutsche übersetzt, entwickelt Die Taugenichtse einen exotisch-urbanen Sound von überbordender Vitalität und Melancholie. Moses bremst die häufig stürmischen Anfragen seiner karibischen Leidensgenossen gerne mit dem Satz „Immer ganz mit der Ruhe“ aus. Beim Lesen von Die Taugenichtse des 1923 geborenen und 1994 verstorbenen Autors Samuel Selvon ist so ein Stopper nicht funktionstüchtig, zu mächtig der sprachliche Drive dieses Romans.

Samuel Selvon: „Die Taugenichtse“, dtv, aus dem Englischen von Miriam Mandelkow, Hardcover, 176 Seiten, 978-3-423-28117-1, 18 €.

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