Nach diversen Ausflügen von Rufus Wainwright in die „Hochkultur“ hatten manche Fans ihren Pop-Helden schon abgeschrieben. Verfrüht, wie er nun zu seinem 50. Geburtstag mit dem grandiosen Album „Folkocracy“ beweist.
von Werner Herpell
Man kann sich dem Cover-Album „Folkocracy“ von Rufus Wainwright aus drei Richtungen nähern. Erstens über die hier interpretierten Lieder – 15 an der Zahl, Folk-Songs im engeren und weiteren Sinne, teilweise als solche von Wainwright höchstpersönlich qualifiziert. Zweitens über die prominenten Gäste, die dem großen kanadisch-amerikanischen Musiker kurz vor seinem 50. Geburtstag die Ehre erweisen – die Liste liest sich wie ein „Who is Who“ des guten Pop-Geschmacks. Und drittens über die Performance des gereiften, ergrauten und nach wie vor enorm charismatischen Protagonisten – kleiner Spoiler: was Rufus Wainwright als Sänger auf diesem Album leistet, klingt schlicht phänomenal.
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Ein künstlerischer Triumph
„Folkocracy“ ist, von welcher Seite man auch draufschaut, ein künstlerischer Triumph. Und das hatte – Hand aufs Herz – nicht mehr jeder Verehrer erwartet nach dem Abdriften des Artpop-Helden in die Musical- und „Hochkultur“-Nische, zu Judy-Garland-Tributes, eigener Oper und Shakespeare-Sonetten. Da war man doch manches Mal ganz schön genervt und fragte sich als Fan seiner Meisterwerke „Want One/Want Two“ (2003/2004), „Release The Stars“ (2007) und „Out Of The Game“ (2012), ob Wainwright es überhaupt noch kann: ein echtes Pop-Album aufnehmen, das einzig und allein über seinen Inhalt, über Songs, Mitspielende, Arrangements/Produktion funktioniert und begeistert.
Womit wir bei Punkt eins wären – den gecoverten Liedern. Dass der tolle Songwriter Rufus Wainwright mit Folk-Stücken aus fremden Federn (bis auf das eigene „Going To A Town“, hier in einer superben neuen Version mit Anohni) eine Rückkehr zur Höchstform schafft, überrascht zunächst. Zwar entstammt der 49-Jährige einer kurzzeitigen Beziehung der renommierten Folk-Musiker Kate McGarrigle und Loudon Wainwright III, doch sein eigenes Werk hatte damit bisher eher wenig zu tun (dafür sehr viel mit opulentem Barock-Pop und queeren Bombast-Balladen).
Von Franz Schubert bis zu Neil Young
Gleichwohl hat Rufus Wainwright nun alte Folk-Stücke von Evan MacColl („Alone“), Peggy Seeger („Heading For Home“) oder Charlie Monroe („Down In The Willow Garden“) sowie uralte Traditionals („Shenandoah“, „Cotton Eyed Joe“, „Arthur McBride“) ausgewählt. Hinzu kommen Lieder, die er teilweise zusammen mit Gästen erst zu einer Art Folk macht: „Twelve-Thirty (Young Girls Are Coming To Town)“, im Original von The Mamas & The Papas, oder „Nacht und Träume“ von Franz Schubert, oder „Black Gold“ von Van Dyke Parks.
Ja, die Gäste. Ganz großes Kino der Vokalkunst ist das. Die ultratalentierte Madison Cunningham, voriges Jahr mit dem Album „Revealer“ zum Folkpop-Star aufgestiegen, singt im Opener „Alone“ mit und tut dies brillant neben einem beseelten Rufus Wainwright. Es folgen als Begleiter die Neo-Soul-Ikone John Legend, danach Susanna Hoffs (The Bangles), Sheryl Crow und Chris Stills, Alternative-Country-As Brandi Carlile, Andrew „The Whistler“ Bird (in einer wunderbaren Version von Neil Youngs „Harvest“), David Byrne, Chaka Khan und Nicole Scherzinger. Am allerschönsten wird es, wenn die Großfamilie Wainwright/Roche/McGarrigle zusammen musiziert – berührendere Fassungen von „Hush Little Baby“ und „Wild Mountain Thyme“ als die hier dargebotenen werden sich kaum finden lassen.
Rufus Wainwright: Weniger ist mehr
Dass dieses Album, dessen Grundidee (Folk-Covers) recht unspektakulär klingt, ein solcher Erfolg ist, hat am Ende ganz viel mit Rufus Wainwright zu tun. Er singt fantastisch, na klar – aber nicht so raumgreifend wie auf manchen früheren Platten, fast minimalistisch, weniger selbstverliebt, mit einer sympathisch zurückhaltenden Art, um den Gästen an seiner Seite genug Raum zu bieten für ihren eigenen künstlerischen Ausdruck. Weniger ist mehr – selten passte das so wie bei „Folkocracy“ (der Albumtitel ist vermutlich ein Wortspiel aus „Folk“ und „Democracy“).
„Dieses Album ist fast wie eine auf Platte gebannte Geburtstagsparty und ein Geburtstagsgeschenk an mich selbst“, sagt Wainwright. „Ich habe einfach all die Sänger eingeladen, die ich riesig bewundere und mit denen ich schon immer singen wollte.“ Rufus macht sich bei diesem folkig-basisdemokratischen Werk also etwas kleiner – und wirkt dadurch noch größer.
„Folkocracy“ von Rufus Wainwright erscheint am 02.06.2023 bei BMG. (Beitragsbild von Amanda Penn Turin)