Ruby Goon: Brand New Power

Ruby Goon: eine Perle aus den vielfältigen Tiefen des Moskauer Underground

Gedankenspiel. Ein milder Sommermorgen. Der beschwingende Wind lässt die Menschen in Washington, D.C. die Hitze der letzten Tage etwas vergessen. Er klettert mit seiner erst kürzlich erworbenen Gitarre auf das staubige Vordach der Veranda und klimpert – noch schlaftrunken – drauf los. Ein Junge lässt im Vorbeifahren die Zeitung knisternd durch die morgendliche Stille segeln. Zunächst unzusammenhängende Klänge entfalten allmählich eine Melodie. Die ersehnte Reise in seine russische Heimat kommt ihm in den Sinn. Sie lässt ihn von physischer Flucht und spiritueller Vereinigung flüstern. Sein zweiter Song “The Globe“ ist geboren.

Erst Jahre später in Moskau wird Ivan Solimani-Leznhev diese Idee mit sechs Multiinstrumentalisten unter dem Namen Ruby Goon wieder aufgreifen. „Guitars suddenly glued together […] and that piano solo pushed our feet off the ground. This track feels particularly special, as more than any other, it is one that helped the band come to be.“

Intrinsische Motivation und notwendige Transition

Isolation und der Blick ins Unbekannte. Als Solimani-Leznhev in jungen Jahren mit dem Vater in die USA übersiedelt, ergreift ihn zunächst ein Kulturschock. Er wird zurückgeworfen auf das innere Selbst. Gleichzeitig nutzt er die Einsamkeit, um musikalische Stile enzyklopädisch zu durchforsten und aufzusaugen. Diese Gratwanderung zwischen Überforderung, Kontemplation und daraus gedeihendem Aufbruch hat sich zutiefst in das erste Album von Ruby Goon eingeschrieben.

Die Songs “Brand New Power“ und “Leech!“ versuchen Selbstzweifel und Verlustängste auf gesündere Pfade umzulenken. Im Falle von “Cold Wind“ steht der geplagte Geist erst kurz vor dem Übergang, doch bereits wissend, dass dieser unumgänglich ist. Hat man das Album einmal komplett gehört, drängt sich das Gefühl auf, eine emotional vollumfängliche Liebesbeziehung durchlebt zu haben: von ersten Orientierungen über euphorische Bekundungen und leise Zweifel hin zu exzessiven Ausbrüchen, Trennung und dem finalen Loslassen.

Debütalbum von Ruby Goon ist ein Potpourri unzähliger Genres

Ruby Goon Albumcover

Wer bereits nach dem ersten Track zu wissen glaubt, wohin die Reise stilistisch geht, wird sich wundern. Analog zu den diversen Emotionsstufen ist das Album auch auf formaler Ebene ein freigeistiges Genre-Gewitter. Dezente Sprenkel eines Jazzpianos zu Beginn kreuzen den tanzbaren Alt-Pop von “The Tide“, der an Tame Impalas “Currents“ und U.M.O.’s “Multi-Love“ erinnert. Psychedelische Funk Lines bei der Zubereitung der “Spicy Space Pasta“ werden abgelöst von schwermütigen Blues- und Soul-Attitüden.

Auf die Spitze treibt es schließlich der auditiv angedeutete Tape-Wechsel zu Beginn von “Movie Groovie“, der die bleiernen Klänge des Closing Tracks vorwegnimmt, nur um sie mit einem harten Cut und einem „No, no, no – not yet!“ in einen Punk-getränkten Wirbelwind zu überführen. Die unbändigen Drums hämmern uns hierbei nicht nur die ebenso geartete Eigenwilligkeit der Ruby Goons entgegen. Sie bilden auch das Bindeglied zu den kantigeren Zeiten im Moskauer Underground.

Ruby Goon und Phantasy: Freiflüge mit feingeistigem Schliff

Auf Umwegen fand die Band zum britischen Label Phantasy, das 2007 von DJ-Ikone und Produzent Erol Alkan gegründet wurde. Solimani-Leznhevs Verehrung des neuseeländischen Musikers Connan Mockasin bahnte letztlich den Weg. Führt man sich die bunte Sphäre von Phantasy vor Augen, so erscheint auch Ruby Goons Werk als fesselndes Konglomerat aus Leznhevs „Outsider Music“ und Alkans subtilen Electronica-Gravuren.

Ein Labyrinth, aus dem man nicht entkommen will. Das Album ist derart vielfältig, dass der innere Bewerter stets gewillt ist zu verstummen, um den Geist gänzlich in dieser kreativen Welle versinken zu lassen. Spätestens wenn Leznhevs Stimme zum Abschied mit unnachahmlicher Vehemenz in uns hineinkriecht, kommt man nicht umhin an das selbstbetitelte Debütalbum von Roxy Music oder Erstlinge mit ähnlich hypnotischer Kraft zu denken. Wenn die belächelnde Skepsis gegenüber einer als brandneu angepriesenen Erfahrung im Zuge ebendieser vergessen geht, so wird deutlich: eine Speise kann verblüffen, auch wenn die Zutaten bekannt sind.

„Brand New Power“ von Ruby Goon erscheint am 19.08.2022 bei Phantasy. (Beitragsbild: Pressefoto)

Unterstützen Sie Sounds & Books

Auch hinter einem Online-Magazin steckt journalistische Arbeit. Diese bieten wir bei Sounds & Books nach wie vor kostenfrei an.
Um den Zustand zukünftig ebenfalls gewährleisten zu können, bitten wir unsere Leserinnen und Leser um finanzielle Unterstützung.

Wenn Sie unsere Artikel gerne lesen, würden wir uns über einen regelmäßigen Beitrag sehr freuen.

Spenden Sie direkt über PayPal oder via Überweisung.

Herzlichen Dank!

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Kommentar schreiben