Roy Harper: Man & Myth

Ein zeitloses, außergewöhnliches Album des 72-jährigen Briten

von Gérard Otremba

Welch ein zeitloses, aus der Zeit gefallenes Wunderwerk. Mit Man & Myth gelingt dem 72-jährigen englischen Songwriter Roy Harper eine wahrlich außergewöhnliche Platte, die eine breite Aufmerksamkeit verdient hätte. 1966 veröffentlichte Roy Harper mit The Sophisticated Beggar seinen ersten Longplayer, viele weitere folgten, doch halbwegs bekannt bei Musikhörern wurde Harper in erster Linie als Sänger des Songs „Have A Cigar“ auf dem Pink Floyd-Album Wish You Were Here. Einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte Roy Harper noch durch Led Zeppelin, die auf ihrem dritten Album den Song „Hats Off To (Roy) Harper“ aufnahmen und auch bei Physical Graffiti mischte der Brite mit.

Sogar eine Zusammenarbeit mit Feensängerin Kate Bush kam zustande, bei deren „Breathing“ er zu hören ist. Eigene kommerzielle Erfolge: Fehlanzeige. Die wird Roy Harper auch mit Man & Myth nicht einheimsen. Leider. Die gerade mal sieben Songs auf Man & Myth überfordern wohl die vom Mainstreamradio weichgespülten und mit Beats vollgestopften Ohren potentieller Musikhörer. Dabei sind es noch nicht einmal besonders verquaste Kompositionen, die Roy Harper einem hier auftischt. Natürlich muss man sich konzentrieren und auf die Lauflänge der Songs einlassen, denn zwei überschreiten die Sieben-Minuten-Marke und „Heaven Is Here“ weist mit über 15 Minuten sogar die doppelte Länge auf. Das alles erinnert an ein längst verstorbenes Genie der populären Musikkunst, nämlich Tim Buckley, der Ende der 60er mit Happy Sad sowie Goodbye And Hello zwei famose Alben aufnahm, die letztendlich ebenfalls viel zu wenige Hörer fanden. Der Beginn von Man & Myth fließt mit „The Enemy“ in einem fluffigen und gleichmäßigen Americana-Rhythmus, Harper brilliert mit einer gleichsam weisen wie juvenilen Stimme, die einen bis ins Mark trifft. Auf die akustische Gitarre und sanfte Streicher reduziert wird „Time Is Temporary“, Harpers Stimme unendlich traurig, verloren und fast hoffnungslos. Aus demselben Holz geschnitzt ist „January Man“, zutiefst ergreifend und bewegend. „I lost control of my emotions / in the notion of your grace“, singt Harper und hinterlässt die schmerzhafteste Schönheit, die man sich nur vorstellen kann.

Ganz ähnlich, nur noch dramatischer, erklingt „The Stranger“, während „Cloud Cockooland“ in Begleitband samt Saxophon den Bogen zu neuen Folk-Rock-Heroen wie Jonathan Wilson schlägt, der maßgeblich an diesem Album beteiligt war. Harper lässt hier auch der E-Gitarre freien Lauf und singt vergleichsweise enthemmt. Elegisch, schwebend, leicht mystisch schleicht sich der Abschlusstrack „The Exile“ an, Gitarren- und Schlagzeugspiel greifen am Schluss Pink Floyd-Psychedelia auf. Davor das erwähnte epochale „Heaven Is Here“, wo akustische Gitarren, Streicher und ein percussives Schlagwerk Harpers Stimme flankieren, umschmeicheln, einfangen, liebkosen, die freigeistig und erratisch diverse mögliche Richtungen auslotet. „Heaven Is Here“ ist die triumphale Krönung des außergewöhnlichen Albums Man & Myth, ein Geniestreich Roy Harpers.

„Man & Myth“ von Roy Harper ist am 20.09.2013 bei Bella Union / Pias Cooperative Music erschienen.

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