Auf „Pro Xristoy“ intonieren Rotting Christ ihren Bombast-Metal fast ausschließlich im Midtempo-Bereich
von Michael Thieme
Musizierende Pubertierende, die auf das Establishment scheißen bevor sie selber dazu gehören, denken sich manchmal Bandnamen aus, die sie später eventuell bereuen werden. Sakis (voc., git.) und sein Bruder Themis Tolis (drums), welche die Band Rotting Christ 1987 in Athen ins Leben riefen, haben sich inzwischen nicht nur mit dem Namen arrangiert, sondern ebenso damit, dass religiöser eingestellte Musikanten wie z.B. Dave Mustaine von Megadeth (der einst vom am Okkulten interessierten zum „wiedergeborenen Christen“ mutierte) keinen Bock haben, auf den gleichen Festivals zu spielen wie die Hellenen. Oder, dass sie in einigen Ländern nicht so gerne gesehen sind und auch mal wegen „Terrorverdacht“ inhaftiert werden (Georgien 2018).
Dabei sind die Brüder sowie ihre häufig wechselnden Mitstreiter an den vier bzw sechs Saiten schon lange weg vom plumpen Satanismus, sondern positionieren sich als Widerständler gegen alle monotheistischen Religionen. „Wenn ich in die Welt blicke, erkenne ich, wie die Ein-Gott-Religionen tagtäglich zur Zerstörung unserer Mutter Erde beitragen!“, sagte Sakis Tolis im Legacy.
Rotting Christ bauen ihre selbst gebastelte Schublade detailreich weiter aus
Vom, für viele gleichermaßen als „pubertär“ wahrgenommenen Gehacke, Geschredder oder Gebolze der ganz frühen Tage sind Rotting Christ seit einer Ewigkeit weg, schon lange werden sie von Veröffentlichung zu Veröffentlichung symphonischer sowie mächtiger. Dabei ebenso routinierter und wohl auch überraschunsgsärmer. In den meisten Reviews zum neuen, dem bereits 14ten Studioalbum, wird treffend darauf hingewiesen, dass, wer den Vorgänger „The Heretics“ (2019) mochte, auch hier bedenkenlos zugreifen kann. Was noch bemerkt werden sollte ist das hohe technische wie kompositorische Niveau, welches das Album durchzieht.
Mezzo-Sopranistin Amdroniki Skoula als Gast
Vor dem lyrischen Konzept einer Reise vom Mittelmeerraum über Skandinavien bis ins Keltische hinein auf der Suche nach Bewahrenswerten, was vor dem aufkommenden Christentum geschützt werden muss, intonieren Rotting Christ ihren fast ausschließlich im Midtempo-Bereich angesiedelten Bombast-Metal, dessen Schwärze inzwischen eher an Gothic-Sounds oder den Soundtrack zu Sandalenfilmen gemahnt, als an den Black Metal der Anfangszeit. Überragende Ausnahme: „La Lettera Del Diavolo“, bei dem nicht nur ordentlich beschleunigt wird, sondern mithilfe der Mezzo-Sopranistin Amdroniki Skoula beunruhigender Schauer ausgelöst wird, der an Diamanda Galás‘ Meisterwerk „The Divine Punishment“ erinnert.
Viele helfende Hände schaffen ein Referenzwerk in der Diskografie von Rotting Christ
Chöre, Trommeln, Keyboard und Erzählstimmen (darunter die von Andrew Liles von Current 93) machen das von Sakis Tolis produzierte sowie von Jens Borgen (produzierte Opeth, Paradise Lost, The Ocean etc.) gemixte Opus perfekt. Ein großartiges Album, dessen Innovationen im Detail stecken.
„Pro Xristoy“ von Rotting Christ erscheint am 24.05.2024 bei Season Of Mist. (Beitragsbild-Credit: Chantik Photography)